Rechnungsberichtigung und Vorsteuerabzug – endlich liegt das BMF-Schreiben vor

Das BMF hat mit Schreiben vom 18.9.20201 seine Regelungen zum Vorsteuerabzug ohne Rechnung sowie zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung aktualisiert. Das Schreiben berücksichtigt die neuere Rechtsprechung des EuGH und des BFH. Der Beitrag stellt die Kernaussagen dar und versucht eine erste schlaglichtartige Bewertung aus Sicht der Praxis.
BMF, Schreiben v. 18.9.2020 - III C 2 - S 7286-a/19/10001 :001, NWB UAAAH-58776

Kernfragen

  • Was gilt zur Rechnung und zum Vorsteuerabzug?
  • Welche Auffassung vertritt das BMF zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung?
  • Wie ist das Schreiben insgesamt zu werten?

I. Einleitung und Hintergrund

Im Jahr 2016 entschied der EuGH auf Vorlage des Niedersächsischen FG, dass eine fehlende Steuernummer in Abrechnungen im Gutschriftsverfahren mit Rückwirkung für den Vorsteuerabzug ergänzt werden konnte.2 Am gleichen Tag urteilte der EuGH in einem portugiesischen Vorabentscheidungsersuchen, dass die Finanzbehörde bei der Entscheidung über den Vorsteuerabzug neben den Angaben in einer Rechnung sämtliche weiteren ihr zugänglichen Informationen zu berücksichtigen habe.3 Dabei ging es ganz offenbar nicht nur um in der Rechnung referenzierte, sondern auch um andere Informationen.

Zwei Jahre später erging eine Entscheidung in einem Vorabentscheidungsersuchen aus Bulgarien, aus der man ggf. die Interpretation ableiten konnte, ein Vorsteuerabzug könne auch ganz ohne Rechnung denkbar sein.4 Schließlich entschied der EuGH in einem polnischen Verfahren abermals, ergänzende Angaben (konkret aus Lieferscheinen, die nicht in den Rechnungen referenziert waren) seien zu berücksichtigen. 5

Der BFH setzte sehr zeitnah die Rechtsprechung in der Rechtssache Senatex um. Dabei gewährte er rückwirkend den Vorsteuerabzug nach einer Rechnungsberichtigung in einem Sachverhalt mit fehlender Steuernummer,6 in einem Sachverhalt mit fehlerhafter Angabe eines inländischen anstelle eines ausländischen Rechtsformzusatzes<7 und in einem Sachverhalt mit einer nicht ausreichenden Leistungsbeschreibung.8 In allen Entscheidungen findet sich die Aussage des BFH, eine berichtigungsfähige Rechnung müsse mindestens Angaben

  • zum leistenden Unternehmer,
  • zum Leistungsempfänger,
  • zum Entgelt,
  • zum Steuerbetrag und
  • zur Leistungsbeschreibung enthalten.

Der BFH ließ offen, ob ein rückwirkendes Ereignis (vgl. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO) anzunehmen sei und hielt die Korrektur bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG für zulässig.

Die Rechtsprechung in der Rechtssache Barlis 06 verarbeitete der BFH ebenfalls in mehreren Entscheidungen, die insbesondere die Vorschrift des § 14c UStG betrafen.9 Weiterhin akzeptierte er unter Hinweis auf Barlis 06 in zwei Urteilen den Vorsteuerabzug aus einer Rechnung ohne ausdrücklichen Leistungszeitpunkt unter Hinweis auf weitere Informationen sowie teilweise auf eine Verkehrsüblichkeit.10 Eine rückwirkende Korrektur von Falschrechnungen nach §14c UStG lehnte der BFH dagegen deutlich ab.11

Im Laufe der folgenden Jahre konnte der BFH in Bezug auf Senatex weiter entscheiden, dass die Urteilsgrundsätze auch im Vorsteuervergütungsverfahren (vgl. § 18 Abs. 9 UStG) relevant sind.12 Der XI. Senat erklärte zudem eine rückwirkende Beseitigung eines Umsatzsteuerausweises in einer Rechnung in einem Einzelfall für möglich und entschied im gleichen Verfahren, die Berichtigung durch Storno und eine neue Ausstellung einer Rechnung seien rückwirkend zulässig.13 Dies war verwaltungsseitig in einem der Entwürfe eines Anwendungsschreibens noch anders gesehen worden.

In der bisher letzten veröffentlichten Entscheidung zum Themenkomplex versagte der BFH schließlich eine rückwirkende Berichtigung in einem Sachverhalt, bei dem er die Leistungsbeschreibung in den Abrechnungen für vollkommen unzureichend erklärte.14 Dabei präzisierte er weiterhin seine Auffassung bezüglich der Berichtigung wegen Rechnung und betonte, eine solche müsse zwingend die genannten Mindestbestandteile enthalten.15 Offen blieb dabei, ob Rechnungen mit fehlender digitaler Signatur16 einer rückwirkenden Berichtigung zugänglich sein können, was das FG noch bejaht hatte.

Eine Reihe veröffentlichter finanzgerichtlicher Entscheidungen befasste sich im Zeitraum seit 2016 ebenfalls mit Einzelfragen der rückwirkenden Rechnungsberichtigung.17 Auf diese wird hier nicht näher eingegangen.

Bezüglich der Rechtssache Vadan vertrat der BFH mehrfach die Auffassung, ein Vorsteuerabzug sei ganz ohne Rechnung nicht zulässig, und stützte dies insbesondere auf eine andere Entscheidung des EuGH.18

Die Finanzverwaltung tat sich offenbar mit der Umsetzung der Entscheidungen relativ schwer. Zwar wurde in der Betriebsprüfungspraxis relativ zeitnah eine rückwirkende Berichtigung bestimmter Formfehler in Rechnungen regelmäßig für den Vorsteuerabzug akzeptiert, doch erging das mehrfach im Entwurf vorgestellte BMF-Schreiben nicht.

Nunmehr, über vier Jahre nach den ersten beiden EuGH-Urteilen, liegt es vor. Zugleich wird der UStAE an die neuen Rechtsgrundsätze angepasst19 und die wesentlichen BFH-Urteile sind zur Veröffentlichung im Bundessteuerblatt II vorgesehen. Der folgende Beitrag stellt die Kernaussagen dar und versucht eine erste schlaglichtartige Bewertung.

II. Rechnung und Vorsteuerabzug

Bisher war für den Vorsteuerabzug (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG) der Besitz einer ordnungsmäßigen Rechnung20 notwendige Bedingung i. S. einer materiell-rechtlichen Voraussetzung. Zukünftig wird eine ordnungsmäßige Rechnung nicht mehr als materiell-rechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug angesehen. Vielmehr handelt es sich um ein formelles Merkmal. Dies gilt allerdings nicht im Hinblick auf den Umsatzsteuerausweis in einer Rechnung. Dieser soll weiterhin grds. zwingende Voraussetzung für das Vorsteuerabzugsrecht sein (vgl. Rz. 5). Dabei stützt sich das BMF entscheidend auf den EuGH.21

Falls eine Rechnung in formeller Hinsicht nicht alle Erfordernisse des § 14 Abs. 1 bis Abs. 4 UStG erfüllt, kann ein Vorsteuerabzug auch ohne Rechnungsberichtigung zu gewähren sein, wenn durch objektive Nachweise belegt werden kann, dass von dem in der Rechnung benannten Unternehmer eine besteuerte Leistung ausgeführt worden ist. Details enthält das BMF-Schreiben nicht, aber es fordert, die Nachweise müssten leicht und zweifelsfrei prüfbar sein. Eine Amtsermittlungspflicht bestehe nicht. Für den Nachweis der Steuerbelastung sei der Besitz einer Rechnung mit Umsatzsteuerausweis jedoch zwingend und durch nichts zu ersetzen (vgl. Rz. 10 bis 13).

III. Rückwirkende Rechnungsberichtigung

1. Vorbemerkungen

Die Finanzverwaltung erklärt sich grds. bereit, eine rückwirkende Berichtigung von fehlerhaften Rechnungen für Zwecke des Vorsteuerabzugs anzuerkennen. Voraussetzung ist allerdings stets das Vorliegen einer Rechnung, die mindestens Angaben

  • zum leistenden Unternehmer,
  • zum Leistungsempfänger,
  • zum Entgelt,
  • zum Steuerbetrag und
  • zur Leistungsbeschreibung

enthält (vgl. Rz. 16). Keine dieser Angaben darf so fehlerhaft oder unbestimmt sein, dass sie einer ganz fehlenden Angabe gleichzustellen wäre.

Eine rückwirkende Berichtigung soll auch dann vorliegen, wenn eine Umsatzsteuerrechnung einvernehmlich rückabgewickelt und die Umsatzsteuer zurückgezahlt worden ist (vgl. Rz. 15). Im zugrunde liegenden Fall versagte der BFH den Vorsteuerabzug entsprechend, d. h. die Korrektur wirkte sich zulasten des Stpfl. aus. Dies sollte allerdings ein Sonderfall gewesen sein.

Im Ergebnis sollten in jedem Fall Fehler in den folgenden Merkmalen nach § 14 Abs. 4 UStG rückwirkend berichtigungsfähig sein, gleich ob sie ganz fehlten oder nur unzutreffend waren:

  • Anschrift,
  • Steuernummer bzw. USt-ID-Nr.,
  • Rechnungsnummer,
  • Rechnungsdatum,
  • Leistungszeitpunkt,
  • Steuersatz (bei Umsatzsteuerausweis in Rechnung),
  • Entgeltminderungshinweis sowie
  • Hinweis auf das Gutschriftsverfahren.22

2. Leistender Unternehmer und Leistungsempfänger

Ist in einer Abrechnung der falsche leistende Unternehmer oder der falsche Leistungsempfänger benannt, kommt eine rückwirkende Berichtigung für den Vorsteuerabzug nicht in Betracht (vgl. Rz. 18 und 19). Dies ist schlüssig, weil entsprechende Belege regelmäßig den Tatbestand des § 14c UStG erfüllen.

Unklar bleibt, wann beispielsweise bei Angabe einer falschen oder fehlenden Rechtsform eine Rückwirkung ausgeschlossen ist. Das BMF betont allerdings, dass bei eindeutiger Identifizierbarkeit und fehlender Verwechslungsgefahr gar keine Korrektur erforderlich sei. Beispiele wären dennoch wünschenswert gewesen.

Es spricht viel dafür, dass typische Praxisfehler wie die unterlassene rechtzeitige Abbildung einer Umfirmierung eines Unternehmens sowohl rückwirkend berichtigungsfähig sind als auch grds. den Vorsteuerabzug anhand ergänzender Unterlagen und Informationen gestatten sollten.

3. Leistungsbeschreibung

Die Leistungsbeschreibung darf nicht vollkommen unzureichend sein. Sie muss jedenfalls so konkret sein, dass Leistung und Unternehmensbezug erkennbar sind. Explizit wird eine Angabe „Produktverkäufe“ dem BFH folgend als eine rückwirkende Berichtigung ausschließend benannt. Die beispielhaften Angaben „Beratung“ oder „Bauarbeiten“ sollen hingegen rückwirkend berichtigungsfähig sein (vgl. Rz. 20). Dies ist sehr praxisrelevant, weil gerade bei der Leistungsbeschreibung in Deutschland nach wie vor eine sehr enge Auslegung vertreten wird, so dass es oft zu Beanstandungen kommt.

Unklar bleibt leider, wann ohne Berichtigung der Vorsteuerabzug anhand ergänzender Unterlagen und Informationen (z. B. Bestellung, Vertrag) zu gewähren ist. Hierzu wären Beispiele hilfreich gewesen.

4. Entgelt

Nach Auffassung des BMF ist es ausreichend, wenn in einer Rechnung der Bruttobetrag und der Umsatzsteuerbetrag gesondert ausgewiesen werden, so dass das Entgelt berechnet werden kann (vgl. Rz. 21). Dies ist eine sehr großzügige und zu begrüßende Verwaltungsmeinung.

5. Umsatzsteuerausweis

Der Umsatzsteuerausweis wird als zwingende Voraussetzung einer rückwirkenden Korrektur angesehen (vgl. Rz. 23). Es soll ausdrücklich nicht möglich sein, den Betrag bei Angabe des Bruttopreises und des Entgelts berechnen zu können (vgl. Rz. 22).

Überraschend positiv ist allerdings die weitere Aussage, eine fehlerhaft mit Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b UStG ausgestellte Rechnung, die richtigerweise mit Umsatzsteuerausweis auszustellen gewesen wäre, sei einer rückwirkenden Berichtigung zugänglich.

Wurde bisher keine Umsatzsteuer ausgewiesen und wird diese nunmehr vom Leistenden nachbelastet, lässt dies keine rückwirkende Korrektur des Vorsteuerabzugs zu (vgl. Rz. 25). Gleiches soll gelten, wenn irrtümlich eine Organschaft (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) angenommen und daher ohne Umsatzsteuer abgerechnet wurde (vgl. Rz. 26). Damit bleibt es bei der Empfehlung, in zweifelhaften Organschaften mit Umsatzsteuerausweis abzurechnen.23

Ist der Umsatzsteuerausweis in einer Rechnung zu niedrig, so ist der Vorsteuerabzug nur in der ausgewiesenen Höhe möglich. Eine rückwirkende Berichtigung eines höheren Steuerausweises ist laut BMF nicht zulässig. Vielmehr ist die zusätzliche Umsatzsteuer erst nach Erhalt der Rechnungskorrektur ex nunc abziehbar. Zur Rechtfertigung der Auffassung stützt sich das BMF insbesondere auf die EuGH-Urteile Biosafe und Terra Baubedarf (vgl. Rz. 27).

Die Begründung überzeugt nicht vollständig. Richtigerweise hat der EuGH in Biosafe entschieden, dass der Vorsteuerabzug aus einer nachbelasteten Umsatzsteuer (wegen irrtümlicher Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes) erst nach Erhalt einer korrigierten Rechnung gewährt wurde. Ebenso wurde in Terra Baubedarf ausgeführt, ein Unternehmer sei erst nach Erhalt einer Rechnung mit Umsatzsteuerausweis in Höhe der Steuer belastet.

Dies passt allerdings der Begründung nach nicht zu einem Fall, in dem ein Bruttopreis bereits berechnet und bezahlt worden ist. Die Belastung des Leistungsempfängers bleibt dann nämlich final bestehen, und der leistende Unternehmer schuldet die Steuer rückwirkend. Somit spricht in diesem Fall – nicht aber für den Fall der Nachbelastung von Umsatzsteuer – sehr viel für eine rückwirkende Berichtigungsmöglichkeit.

6. Kleinbetragsrechnungen (§ 33 UStDV)

Die neue Fassung von Abschnitt 15.2a Abs. 7 UStAE enthält einen interessanten Satz 10, nach dem Kleinbetragsrechnungen nach § 33 UStDV nur berichtigt werden müssen, soweit diese Vorschrift die in Rede stehenden Angaben erfordert. Damit müsste die Diskussion um den Vorsteuerabzug aus Kleinbetragsrechnungen (z. B. Hotelrechnung), die fehlerhaft auf den Namen eines Arbeitnehmers lauten,24 ein Ende haben, denn die entsprechende Angabe ist eben gerade nicht gesetzlich notwendig nach § 33 UStDV. Gleiches sollte, auch wenn diese nicht explizit angeführt werden, für Fahrausweise nach § 34 UStDV gelten.25

7. Storno unschädlich

Dem BMF zufolge ist eine rückwirkende Berichtigung auch durch Storno und Neuausstellung einer Rechnung zulässig (vgl. Rz. 14). Damit wird die BFH-Rechtsprechung zutreffend umgesetzt.

8. Zeitpunkt und verfahrensrechtliche Aspekte

Eine Rechnungsberichtigung ist bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG möglich (vgl. Rz. 14). Die Rückwirkung ist grds. zwingend (vgl. Rz. 29).

Ein rückwirkendes Ereignis soll bei einer Rechnungsberichtigung nicht vorliegen (vgl. Rz. 32).26 Dies erscheint systematisch richtig, bedeutet aber, dass Unternehmen, bei denen der Vorsteuerabzug aus einer Rechnung wegen formeller Fehler beanstandet wird, zwingend die entsprechende Umsatzsteuerfestsetzung anfechten müssen. Andernfalls droht wegen Festsetzungsverjährung der Verlust des Vorsteuerabzugsrechts.

9. Nichtanwendung bei § 14c UStG

Eine rückwirkende Korrektur kommt nicht in Betracht, wenn die Rechnung den Tatbestand des 14c UStG erfüllt (vgl. Rz. 31). Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH.

10. Nichtbeanstandungsregelung

Grundsätzlich sind die Rechtsgrundsätze auf alle offenen Sachverhalte anzuwenden. Es wird jedoch nicht beanstandet, wenn für Zeiträume bis zum 31.12.2020 noch die alte Rechtsauffassung angewendet und keine rückwirkende Rechnungsberichtigung vorgenommen wird.

IV. Praxisfolgen

Das BMF-Schreiben erhöht die Rechtssicherheit für die Stpfl. In vielen Fällen wird es möglich, bei rein formellen Fehlern in Rechnungen die teilweise dramatisch hohen Zinsbelastungen nach § 233a AO zu vermeiden.

Zu begrüßen ist nicht zuletzt die Akzeptanz von Stornorechnungen als Mittel der rückwirkenden Berichtigung. Damit ist es möglich, Rechnungsberichtigungen über die ERP-Systeme abwickeln zu können. Die andernfalls notwendigen manuellen Korrekturen wären im Hinblick auf Nachvollziehbarkeit, Dokumentation und mögliche Missbräuche problematischer gewesen.

Allerdings bleibt die Anwendung sog. ergänzender Informationen ohne Rechnungsberichtigung sehr unklar. Hier ist in der Zukunft mit weiteren Finanzrechtsstreitigkeiten zu rechnen. Daher wären zusätzliche Klarstellungen durch das BMF zu begrüßen.

Grundsätzlich sollten Unternehmen Eingangsrechnungen weiterhin zeitnah prüfen und sich weiterhin bemühen, bei formellen Fehlern Rechnungsberichtigungen einzuholen. Bevorzugt sollte dies geschehen, bevor die Rechnung bezahlt wird, um ein Druckmittel zu besitzen. Entsprechende Umsatzsteuerfestsetzungen müssen angefochten werden, soweit nicht ein Vorbehalt nach § 164 Abs. 2 AO besteht.

Der Weg zur Verteidigung des Vorsteuerabzugs ohne Rechnungsberichtigung sollte nur gewährt werden, wenn eine Berichtigung nicht erlangt werden kann. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen der Rechnungsaussteller nicht kooperationswillig ist,27 oder Situationen, in denen eine Kontaktaufnahme nicht mehr möglich ist.28

In den Fällen, in denen dem BMF und BFH zufolge eine rückwirkende Rechnungsberichtigung nicht möglich ist, weil es an einer berichtigungsfähigen Rechnung fehlt, sollte in jedem Fall ergänzend versucht werden, Billigkeitsmaßnahmen im Hinblick auf die Nachzahlungszinsen zu erreichen. Der EuGH hat in Senatex die undifferenziert erhobenen deutschen Nachzahlungszinsen bei Fehlern in Rechnungen nämlich als unangemessene finanzielle Sanktion bewertet.29 Zur entsprechenden Frage liegt bisher keine veröffentlichte höchstrichterliche Finanzrechtsprechung in Deutschland vor. Damit ist unklar, wie stark ein entsprechender Anspruch ist, und ob eine Herabsetzung auf null oder nur eine Reduktion geboten ist. Allerdings hat der BFH bereits in einem Einzelfall, der die Anwendung des § 13b UStG betraf,30 und in einem Sachverhalt, der sich mit einem Irrtum bei einem Sale-and-Lease-Back-Verfahren befasste,31 jeweils einen Billigkeitserlass der Zinsen für geboten erklärt. Gegebenenfalls hilft auch eine weitere EuGH-Entscheidung bei der Argumentation.32

Offen bleibt eine mögliche Anwendung der Grundsätze der rückwirkenden Rechnungsberichtigung auf Sachverhalte, die nicht den Vorsteuerabzug betreffen. Insbesondere ist strittig, ob die für die Anwendung der Sonderregelung für innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte erforderliche Rechnung mit Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ein nachträglich berichtigungsfähiges Dokument ist. Hierfür bestehen gute Gründe angesichts der Rechtsprechung des EuGH.33 Die veröffentlichte Finanzrechtsprechung ist allerdings uneinheitlich.34 Der BFH wird Gelegenheit erhalten, diese Rechtsfrage zu entscheiden.

Kernaussagen

  • Zukünftig wird eine ordnungsmäßige Rechnung nicht mehr als materiell-rechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug angesehen. Vielmehr handelt es sich um ein formelles Merkmal. Falls eine Rechnung in formeller Hinsicht nicht alle Erfordernisse des § 14 Abs. 1 bis Abs. 4 UStG erfüllt, kann ein Vorsteuerabzug auch ohne Rechnungsberichtigung zu gewähren sein, wenn durch objektive Nachweise belegt werden kann, dass von dem in der Rechnung benannten Unternehmer eine besteuerte Leistung ausgeführt worden ist. Ein Umsatzsteuerausweis bzw. bei Kleinbetragsrechnungen der Steuersatz ist allerdings stets zwingende Voraussetzung eines Vorsteuerabzugs.
  • Die Finanzverwaltung erklärt sich grds. bereit, eine rückwirkende Berichtigung von fehlerhaften Rechnungen für Zwecke des Vorsteuerabzugs anzuerkennen. Voraussetzung ist allerdings stets das Vorliegen einer Rechnung, die mindestens Angaben zum leistenden Unternehmer, zum Leistungsempfänger, zum Entgelt, zum Steuerbetrag und zur Leistungsbeschreibung enthalten muss. Der Steuerausweis kann dabei nicht rückwirkend erhöht oder nachgeholt werden. Einzige Ausnahme ist eine fehlerhaft auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b UStG verweisende Rechnung.
  • Das BMF-Schreiben erhöht die Rechtssicherheit für die Stpfl. In vielen Fällen wird es möglich, bei rein formellen Fehlern in Rechnungen die teilweise dramatisch hohen Zinsbelastungen nach § 233a AO zu vermeiden. Zu begrüßen ist nicht zuletzt die Akzeptanz von Stornorechnungen als Mittel der rückwirkenden Berichtigung. Allerdings bleibt die Anwendung sog. ergänzender Informationen ohne Rechnungsberichtigung sehr unklar.

Autor

StB Robert C. Prätzler
ist Partner Indirect Tax bei PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Frankfurt/M. und Lehrbeauftragter an der Hochschule Worms.

Umsatzsteuer, Umsatzsteuersenkung, Umsatzsteuer Direkt Digital

1Vgl. -a/19/10001 :001 NWB UAAAH-58776. Alle im Beitrag angegebenen Randziffern (Rz.) beziehen sich – sofern nichts anderes angegeben ist – auf dieses Schreiben.

2Vgl.  „Senatex“NWB XAAAF-82024, MwStR 2016 S. 792.

3Vgl.  „Barlis06“ NWB HAAAF-82025, MwStR 2016 S. 796.

4Vgl.  „Vadan“ NWB VAAAH-03378, UR 2018 S. 962; dazu Streit/Streit, MwStR 2019 S. 13; Höink/Hudasch, BB 2019 S. 542; Hartmann, DStR 2019 S. 595.

5Vgl.  „Mennica Wroclawska“, nicht in deutscher Sprache veröffentlicht; dazu PrätzlerNWB 2019 S. 483 NWB YAAAH-07009, wird im BMF-Schreiben nicht erwähnt.

6Vgl.  NWB HAAAG-38321, MwStR 2017 S. 425.

7Vgl.  NWB ZAAAG-38824, BFH/NV 2017 S. 488.

8Vgl.  NWB AAAAF-89048, MwStR 2017 S. 73; vgl. GrambeckStuB 2017 S. 260 NWB MAAAG-42073.

9Vgl.  NWB UAAAH-33409, BFHE 266 S. 67, und  NWB ZAAAG-48087, BFHE 257 S. 462 .

10Vgl.  NWB SAAAG-85180, BFHE 261 S. 187, und  (V R 44/16) NWB LAAAH-39358, UR 2020 S. 238; vgl. dazu PrätzlerStuB 2020 S. 411 NWB OAAAH-49560.

11Vgl.  NWB NAAAG-36148, BFHE 255 S. 474 = BFH/NV 2017 S. 408.

12Vgl.  NWB ZAAAH-38406, BFHE 265 S. 572.

13Vgl.  NWB QAAAH-49568, gestützt auf  „Pannon Gep Centrum“ NWB HAAAD-47830, UR 2010 S. 693 = DStR 2010 S. 1475.

14Vgl.  NWB FAAAH-56289.

15Wegfall des Zusatzes, ein Dokument sei „jedenfalls dann“ eine berichtigungsfähige Rechnung, wenn es die genannten Merkmale aufweise.

16Rechtslage bis .

17U. a.  NWB UAAAG-44318, rkr., DStRE 2018 S. 94;  NWB LAAAH-45932, rkr., EFG 2020 S. 626.

18Vgl.  NWB YAAAH-41081, BFHE 267 S. 120, und  NWB FAAAH-56289; Verweis auf  „Terra Baubedarf“ NWB GAAAB-72592, BFH/NV 2004 Beilage 3 S. 229.

19Vgl. neuer Abs. 1a in Abschnitt 15.2a UStAE und neue Fassung des Abschnitts 15.2a Abs. 7 UStAE NWB XAAAD-54581.

20Mit allen Merkmalen nach § 14 Abs. 1 bis 4 UStG.

21Nämlich auf  „Terra Baubedarf“ NWB GAAAB-72592, BFH/NV 2004 Beilage 3 S. 229, und  „Biosafe – Indústria de Reciclagens“ NWB IAAAG-81349, UR 2018 S. 399.

22Mithin § 14 Abs. 4 Nr. 1 (nur bezogen auf die Anschrift), 2, 3, 4, 6, 7 (nur bezogen auf Entgeltminderungen), 8 (nur bezogen auf den Steuersatz, nicht den Steuerbetrag!), 10 UStG.

23Entsprechende Belege fallen nicht unter § 14c UStG, vgl. Abschnitt 14.1 Abs. 4 und 14c.2 Abs. 2a UStAE NWB PAAAH-41071, und v.  - V R 7/10 NWB NAAAD-61014, BStBl 2011 II S. 391.

24Vgl. Schilling/Viertes/Blanke, DStR 2001 S. 1055; Weymüller, Beck'scher Online-Kommentar Umsatzsteuergesetz, § 14 Rz. 478.

25Stichwort „Online-Tickets“, vgl. dazu Prätzler/Stuber, UR 2017 S. 710.

26Dies soll im Rahmen des JStG 2020 zusätzlich gesetzlich verankert werden.

27Eine zivilrechtliche Klage ist i. d. R. wenig erfolgversprechend, zumal die Fristen nach BGB oftmals zu kurz sind, um bei steuerlichen Beanstandungen noch aktiv werden zu können.

28Z. B. ausländische Leistende, Insolvenzfälle oder Betrug.

29Vgl.  „Senatex“ NWB XAAAF-82024, Rz. 42.

30Vgl.  NWB YAAAH-36176, BFHE 266 S. 16.

31Vgl.  NWB GAAAH-06915, BFHE 262 S. 492 = BFH/NV 2019 S. 367.

32Vgl.  „EN.SA“, UR 2019 S. 469.

33Vgl.  „Hans Bühler“ NWB AAAAG-81343, UR 2018 S. 404.

34Vgl.  NWB NAAAH-40788, EFG 2020 S. 319, Rev. anhängig unter BFH-Az.: XI R 38/19; ,AO NWB VAAAH-52701, EFG 2020 S. 1097, Rev. anhängig unter BFH-Az.: XI R 14/20, beide zugunsten einer Rückwirkung. Verneinend  NWB TAAAH-59394, offenbar rkr.

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