Flickenteppich für Kassensysteme und technische Sicherheitseinrichtungen – Abweichende Nichtbeanstandungsregelungen auf Landesebene
Eine Kurzfassung des Beitrags finden Sie .
I. Verpflichtende Implementierung einer TSE
1. Verlängerung der Umrüstungsfrist durch den Bund
Der im Jahr 2016 eingeführte § 146a AO und die hierauf fußende Kassensicherungsverordnung (KassenSichV) aus dem Jahr 2017 ziehen nach der Inkraftsetzung der Belegausgabepflicht („Bonpflicht“)3 zu Beginn dieses Jahres jetzt noch weitere sowie umfassende technische Änderungen für Kassensysteme nach sich.
So besteht – formal – seit die Pflicht, jedes eingesetzte elektronische Aufzeichnungssystem i. S. des § 146a Abs. 1 Satz 1 AO i. V. mit § 1 Satz 1 KassenSichV sowie die damit zu führenden digitalen Aufzeichnungen durch eine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung (TSE) zu schützen (§ 146a Abs. 1 Satz 2 AO).
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) legt zusammen mit dem BMF die technischen Anforderungen an die TSE, im Einzelnen an das Sicherheitsmodul, das Speichermodul und die einheitliche digitale Schnittstelle, sowie die organisatorischen Anforderungen zur Vergabe der Seriennummer des elektronischen Aufzeichnungssystems fest.4 Derzeit gültig ist das Schutzprofil in der Version 1.0.5
Aufgrund von Verzögerungen im Zertifizierungsverfahren des BSI waren bis Ende 2019 keine entsprechenden zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtungen verfügbar. Das BMF hat deshalb eine bundeseinheitliche Nichtbeanstandungsregelung für die Einrichtung einer TSE bis zum gewährt.6
Inzwischen sind erste vom BSI zertifizierte TSE verfügbar, so dass die Steuerpflichtigen dem gesetzlichen Handlungsbedarf grundsätzlich nachkommen können.
Die Implementierung einer TSE ist technisch sowohl als Hardwareversion (z. B. über einen USB-Stick oder eine MicroSD-Karte) als auch als Cloudversion realisierbar.7 Bei den TSE, die das Zertifizierungsverfahren inzwischen erfolgreich durchlaufen haben, handelt es sich ausschließlich um Hardware-TSE. Zwei der bislang zertifizierten Produkte sind auf der Internetseite des BSI veröffentlicht worden.8
2. Härtefallregelungen durch die Länder
Die Verpflichtung zur Aufrüstung der Kassensysteme betrifft nahezu alle Betreiber, denn es sind keine Erleichterungen für Klein(st)unternehmen vorgesehen, die ggf. nur eine einzige Registrierkasse im Einsatz haben.9 Stattdessen gibt es Ausnahmen für elektronische Aufzeichnungssysteme mit einem bestimmten Verwendungszweck (§ 1 Satz 2 KassenSichV)10 und eine verlängerte Übergangsfrist für bestimmte Registrierkassen (Art. 97 § 30 Abs. 3 EGAO).
Ende Juni 2020 hat das BMF die Verbände – mit Verweis auf die verfügbaren zertifizierten TSE – informiert, dass keine weitere Verlängerung der Nichtbeanstandungsregelung auf Bundesebene erfolgen würde, mit der Folge, dass noch nicht abgeschlossene Aufrüstungen aller betroffenen Kassensysteme bis zum zu erfolgen hätten.
Viele Unternehmen konnten indessen aufgrund der Corona-Situation im Frühjahr die vom Bund gewährte Nachfrist für die Aufrüstung ihrer Kassensysteme nicht nutzen. Weiterhin resultiert aus der technischen Umstellung ein nicht unerheblicher finanzieller Aufwand, der gerade die von der Pandemie besonders betroffenen Einzelhändler (mit Ausnahme des Lebensmittel-Einzelhandels), Gastronomen und weiteren Dienstleister im Endkundensektor zusätzlich belastet.
Insbesondere im Gastronomie- und Beherbergungsgewerbe konnten die während des Corona-Lockdowns nahezu vollständig weggefallenen Umsatzerlöse im Sommer nicht ansatzweise aufgeholt werden.11 Gleiches gilt für andere typische Kassensystem-Betreiber etwa im Freizeit- und Veranstaltungsgewerbe (z. B. Konzerthallen, Messen, Kinos, Freizeitparks).
Um möglichen Verzögerungen bei den Implementierungsvorhaben der TSE durch die Corona-Pandemie sowie durch die vorrangig vorzunehmende Anpassung der Umsatzsteuersätze in den Kassensystemen der Unternehmen Rechnung zu tragen, haben 15 von 16 Bundesländer eigene Nichtbeanstandungsregelungen erlassen. Die zum Teil stark voneinander abweichenden Voraussetzungen zur Inanspruchnahme dieser Erleichterungen werden im Folgenden im Einzelnen dargestellt.
Im elektronischen Dokument dieses Beitrags in der NWB Datenbank finden Sie hier eine Aufstellung der Pressemitteilungen, Verfügungen und Schreiben der Länderfinanzverwaltungen und ihre Verlinkung.
II. Erleichterungsregelungen der Bundesländer im Einzelnen
1. Bremen
Bremen hat als einziges Bundesland bisher keine eigene Verlängerung der Nichtbeanstandungsregelung verabschiedet (Stand: ). Damit gilt für alle in Bremen ansässigen Unternehmen die bestehende Nichtbeanstandungsregelung des Bundes. Sie müssen folglich ihre elektronischen Aufzeichnungssysteme i. S. des § 146a AO bis zum mit einer entsprechenden TSE ausgestattet haben. Auf die Möglichkeit der individuellen Beantragung einer Erleichterung bei den Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten nach § 148 AO sei hingewiesen.
2. Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein
Diese zehn Bundesländer haben die Frist für die Ausrüstung der elektronischen Aufzeichnungssysteme bis zum verlängert, wenn die Unternehmen die erforderliche Anzahl an TSE bis zum bei einem Kassenfachhändler oder einem Dienstleister nachweislich bestellt oder in Auftrag gegeben haben oder der Einbau einer cloudbasierten TSE vorgesehen ist. Letztere muss jedoch nachweislich noch nicht verfügbar sein.
Die Bundesländer Hamburg und Hessen äußern in ihren Verlautbarungen explizit, dass im Fall der beabsichtigten Verwendung einer Cloud-TSE deren Einbau oder der Einbau einer anderen TSE ebenso bis zum erfolgen muss. Da bislang kein Anbieter eine Cloud-TSE zertifiziert hat, ist unsicher, ob diese Voraussetzung stets erfüllbar sein wird. Aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres ist die Dauer des Zertifizierungsprozesses von verschiedenen Parametern abhängig und nur eingeschränkt vorherzusagen.12 Die Verfügbarkeit auch von Cloud-TSE hängt zudem vom Anbieter des Kassensystems ab, der dieses nach Zertifizierung ggf. noch anpassen muss. Die Verwender des Aufzeichnungssystems haben hingegen keine Einflussmöglichkeit auf die Verfügbarkeit einer Cloud-TSE.
Inwieweit es hier zu Fällen kommt, in denen der Kassenanbieter – ggf. trotz einer zuvor erbrachten Versicherung, die Cloud-TSE rechtzeitig bereitzustellen – am nicht über eine entsprechende zertifizierte Lösung verfügt, bleibt abzuwarten; ebenso, wie auf politischer Seite mit eben solchen Fällen umgegangen wird.
Die genannten Bundesländer – mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen – beziehen ihre Erleichterungsvorschriften explizit auf die Anwendung des § 148 AO zur Bewilligung von Buchführungserleichterungen. In den jeweiligen Verlautbarungen wird klargestellt, dass für die Inanspruchnahme der Nichtbeanstandungsregelung kein gesonderter Antrag zu stellen ist, sondern die Aufbewahrung der entsprechenden Nachweise und deren Vorlage im Falle einer zukünftigen Außenprüfung oder Kassen-Nachschau (§ 146b AO) ausreichend sind.13 Zu der abweichenden Ansicht des BMF14 und den daraus folgenden Konsequenzen siehe Abschnitt III.3. dieses Beitrags.
Einige der in diesem Abschnitt genannten Bundesländer haben entschieden, die Regelung zwar analog zu den anderen Bundesländern umzusetzen, die hierfür erlassenen Verwaltungsanweisungen jedoch nicht zu veröffentlichen. Dementsprechend dienen hier nur die entsprechenden Pressemitteilungen als Quelle.15
3. Thüringen
Der Freistaat Thüringen sieht ebenso die Verlängerung der Nichtbeanstandungsregelung unter den vorstehend beschriebenen Voraussetzungen vor.16 Im Gegensatz zu den anderen Bundesländern ist zusätzlich eine Anzeige über die beabsichtigte Inanspruchnahme der Erleichterung beim zuständigen Finanzamt einzureichen, die bereits als Vordruck veröffentlicht wurde.17 Zu einer möglichen Antragspflicht aufgrund zwischen BMF und den Länderfinanzbehörden abweichenden Auffassungen vgl. Abschnitt III.3.
Betroffenen ist daher anzuraten, die Anzeige möglichst kurzfristig zu stellen. Eine Rückmeldung sollen Steuerpflichtige nur dann erhalten, wenn die Bewilligung der Nichtbeanstandung nicht gewährt oder zurückgenommen wird.
4. Niedersachsen und Rheinland-Pfalz
Die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Niedersachsen verlängern die Nichtbeanstandungsregelung ebenfalls, allerdings unter leicht abweichenden Voraussetzungen.18 So sehen die Verlautbarungen beider Bundesländer vor, dass die TSE bei einem Kassenfachhändler, einem Kassenhersteller oder einem anderen Dienstleister bis zum nachweislich bestellt wurde und der entsprechende Dienstleister wiederum schriftlich bestätigt hat, dass der Einbau der TSE bis zum nicht möglich ist.
Insbesondere die erforderliche Rückbestätigung des Kassendienstleisters könnte Unternehmen vor die Schwierigkeit stellen, diese entsprechend nachzuhalten. Vorgaben zu Form, Frist und Inhalt der Bestätigung fehlen.
Die Verlautbarungen beider Länder sind Mitte bzw. Ende Juli veröffentlicht worden; den Anwendern von Kassensystemen verblieb damit, wenn sie von der Erleichterungsvorschrift Gebrauch machen wollen, für die Auswahl und Bestellung einer entsprechenden Lösung nur ein Zeitrahmen von etwa vier bis sechs Wochen (mitten in der Sommerpause), was unter Berücksichtigung der Komplexität der Thematik sowie noch fehlender Informationen zu den bislang nicht verfügbaren Cloud-TSE ein sehr kurzer Zeitraum ist. Neben den möglichen Schwierigkeiten, diese Bestätigung überhaupt zu erhalten, verkürzen diese Voraussetzungen formal die vom Bund gewährte Frist zur spätestmöglichen Beauftragung einer TSE bzw. der Entscheidung für eine bestimmte technische Lösung um einen Monat.
Von diesen beiden Bundesländern sieht nur das Land Rheinland-Pfalz vor, dass eine entsprechende Anzeige vom Nutzer der Kassensysteme zu erstatten ist, soweit dieser von der Nichtbeanstandungsregelung Gebrauch macht.19 In Niedersachsen ist weder ein Antrag noch eine Anzeige erforderlich. Wie bei den anderen Bundesländern auch, ist hier das Aufbewahren der den Härtefall nachweisenden Unterlagen ausreichend. Zu einer möglichen Antragspflicht vgl. Abschnitt III.3.
5. Berlin und Brandenburg
Die Bundesländer Berlin und Brandenburg haben die Nichtbeanstandungsregelungen in Allgemeinverfügungen niedergelegt und den Voraussetzungen im Vergleich zu den anderen Bundesländern weitere Anforderungen hinzugefügt.
In Berlin20 mussten dort ansässige Unternehmen den Einbau einer Hardware-TSE bis zum bestellt haben, der entsprechende Dienstleister muss bestätigen, dass ein Einbau bis zum nicht möglich ist bzw. war. Außerdem muss ein konkreter Einbautermin festgelegt werden. Der Einbau muss dann bis zum erfolgen. Ist die Verwendung einer Cloud-TSE beabsichtigt, gilt von dem Vorstehenden nur, dass der Einbau bis zum abgeschlossen sein muss. In beiden Varianten sind alle weiteren Verpflichtungen des § 146a AO zu erfüllen.
Wesentlicher Unterschied zu den Verlautbarungen der anderen Länder (außer des Landes Brandenburg) ist, dass für die Veranlagungszeiträume 2010 bis 2020 keine Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Steuerhinterziehung bzw. Steuergefährdung durchgeführt worden sein dürfen, welche mit einer Verurteilung, einem Strafbefehl, einer Auflage oder einem Bußgeldbescheid abgeschlossen wurden.
In Berlin gilt darüber hinaus, dass die entsprechenden Nachweise für die vorstehenden Voraussetzungen zusammen mit der Verfahrensdokumentation für Kassensysteme während der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist (zehn Jahre) aufzubewahren und auf Verlangen entsprechend vorzulegen sind. Dies dürfte auch in allen anderen Bundesländern so gelten, allerdings weist die Berliner Verfügung ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Aufbewahrung mit der Verfahrensdokumentation hin.
Auch wenn die Verlautbarung keine direkte Äußerung dazu enthält, ergibt sich aus dem vorstehend Beschriebenen, dass in Berlin keine Anzeigenpflicht wie in anderen Bundesländern besteht. Ebenso wird aus der Verlautbarung nicht klar, weshalb Berlin als einziges Bundesland die Frist für die Bestellung der TSE auf den festgelegt hat.
In Brandenburg21 ist die Nutzung der verlängerten Nichtbeanstandungsfrist an ähnliche Voraussetzungen geknüpft wie im Bundesland Berlin. Allerdings ist hier die Bestellung einer entsprechenden Anzahl an TSE bis zum ausreichend, sofern der Anbieter schriftlich versichert, dass der Einbau bis zum nicht durchgeführt werden konnte. Es muss ebenso ein konkreter Termin für den Einbau der TSE benannt werden.
Auch die Verlautbarung des Landes Brandenburg nimmt Bezug auf cloudbasierte TSE: Hier ist – im Unterschied zu Berlin – eine Bestellung bis spätestens vorgesehen sowie deren schnellstmögliche Implementierung (spätestens bis zum ). Ebenso müssen die anderen Voraussetzungen des § 146a AO erfüllt sein; das Land Brandenburg weist hier insbesondere auf die Einhaltung der Bonpflicht hin. Zu einer möglichen Antragspflicht aufgrund zwischen BMF und den Länderfinanzbehörden abweichenden Auffassungen vgl. Abschnitt III.3. dieses Beitrags.
Auch in Brandenburg gilt, dass ein mit einer rechtskräftigen Verurteilung, einem Strafbefehl, einer Auflage oder einem Bußgeldbescheid abgeschlossenes Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren für die Veranlagungszeiträume 2010 bis 2020 der Anwendung der Billigkeitsmaßnahme entgegensteht. In der Verfügung wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass kein entsprechender Antrag zu stellen ist.
6. Exkurs: TSE-Zertifizierung zwingend erforderlich?
In den Verfügungen aus Berlin, dem Saarland, Thüringen und Niedersachsen wird die Verlängerung der Nichtbeanstandungsregelung an die Bestellung der erforderlichen Anzahl an TSE geknüpft; nicht jedoch explizit, dass es sich um eine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung i. S. des § 146a Abs. 1 AO handeln muss. Die Bundesländer Thüringen und Niedersachsen führen hierzu den Terminus der manipulationssicheren TSE ein, verweisen aber nicht auf das notwendige Zertifikat.
Am Markt verfügbar sind auch nicht zertifizierte TSE, beispielsweise solche von ausländischen Anbietern oder solche, die sich gerade im Zertifizierungsverfahren befinden.
Ob die Verlautbarungen dahingehend auszulegen sind, dass nur von § 146a AO intendierte zertifizierte technische Sicherheitseinrichtungen gemeint sein können, oder ob es beabsichtigt ist, Steuerpflichtigen auch bei Bestellung einer (noch) nicht zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung die Möglichkeit zu geben, von der Nichtbeanstandungsregelung Gebrauch zu machen, bleibt dabei unklar. In jedem Fall können die Nichtbeanstandungsregelungen der Länder nicht abbedingen, dass letztlich nur zertifizierte TSE den Anforderungen der KassenSichV genügen.
III. Folgen und Handlungsempfehlungen für Unternehmer und deren Berater
1. Erhöhter Zeitbedarf in der Corona-Krise
Die Initiative der 15 Bundesländer zu einer (temporären) Entlastung bargeldintensiver Betriebe von der Pflicht zur kurzfristigen Implementierung der TSE ist grundsätzlich zu begrüßen. Denn es schiene widersinnig, müssten Transferzahlungen aus Corona-Nothilfemitteln von den unterstützten Unternehmen direkt in Maßnahmen zur Befolgung neuer steuerrechtlicher Anforderungen investiert werden.
Dies gilt insbesondere, da der Hauptgrund für die ursprüngliche, bundeseinheitliche Karenz nur teilweise entfallen ist: Obschon die meisten Anträge auf Zertifizierung von Cloud-TSE erst im vierten Quartal 2019 eingereicht worden sein sollen,22 kann dem Steuerpflichtigen u. E. nicht angelastet werden, dass die Verfahren bis zum aller Voraussicht nach nicht abgeschlossen sind. Kassensystem-Betreiber können erst dann eine sinnvolle Entscheidung über die für ihre Systemlandschaft beste technische Lösung treffen, wenn es echte Alternativen gibt.
Viele Unternehmen interessieren sich für die modernen Cloud-TSE-Varianten, weil sie sich geringere Eingriffe in ihre Hardware und niedrigere Kosten erhoffen. Dies gilt insbesondere für solche Betroffenen, die keine Standard-Kassensysteme im Einsatz haben, sondern ihre Bargeldgeschäfte z. B. über eine Kassenfunktionalität ihres Warenwirtschaftssystems abwickeln.
Der Flickenteppich, der im Laufe der vergangenen Wochen entstanden ist, zeigt indessen den Wert der üblicherweise erfolgreichen Abstimmungen zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Steuerverwaltung.23
2. Betriebe mit Standorten in mehreren Bundesländern
Werden Kassensysteme von einem Steuerpflichtigen in unterschiedlichen Bundesländern betrieben, so sind für eine Inanspruchnahme der verlängerten Nichtbeanstandungsregelung die Voraussetzungen des Bundeslands zu beachten, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist (Ort der Geschäftsleitung bzw. Sitz). Denn § 146a AO betrifft die Buchführungs- bzw. Aufzeichnungspflichten des Steuerpflichtigen und diese können u. E. nur einheitlichen Anforderungen unterliegen. Ein ggf. notwendiger Antrag bzw. eine Anzeige sind an das zuständige Veranlagungsfinanzamt (§ 20 AO) zu richten.
Für den Fall einer Kassen-Nachschau (§ 146b AO) darf nichts anderes gelten: Ein mit den Nachschauhandlungen betrauter Amtsträger darf u. E. eine fehlende TSE nicht beanstanden oder Daten aus der einheitlichen digitalen Schnittstelle verlangen, wenn die im Bundesland der Ansässigkeit geltenden Voraussetzungen für die Nichtbeanstandungsregelung erfüllt sind.24 Spätestens bei der Verwertung der Ergebnisse durch das Ansässigkeitsfinanzamt muss diese Berücksichtigung finden; negative Konsequenzen einer fehlenden TSE müssen unterbleiben.
Empfehlenswert ist indessen, alle Standorte des Unternehmens, an denen betroffene Kassensysteme im Einsatz sind, mit Kopien der entsprechenden Nachweise auszustatten und das verantwortliche Personal für den Fall einer unangekündigten Kassen-Nachschau über das (legitime) Fehlen einer TSE und die Inanspruchnahme der verlängerten Nichtbeanstandungsregelung zu informieren.
3. Rechtssicherheit über die Verlängerung und mögliche Antragspflicht
BMF-Schreiben binden im Bereich der von den Ländern verwalteten Steuern lediglich die Finanzverwaltung intern. Gleiches gilt für Anweisungen, die seitens der obersten Finanzbehörden der Länder (i. d. R. Landesfinanzministerien) an diesen nachgeordnete Mittelbehörden (Oberfinanzdirektionen) oder an die Finanzämter ergehen.
Hiervon zu unterscheiden sind Allgemeinverfügungen i. S. des § 118 Satz 2 AO, die einen Verwaltungsakt begründen, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet. Eine Allgemeinverfügung, wie etwa die der Länder Berlin und Brandenburg, richtet sich somit direkt an Steuerpflichtige, für die sich hieraus unmittelbar Rechte und Pflichten ergeben. Wie bei BMF-Schreiben können sich Steuerpflichtige aber auch im Falle von Verwaltungsanweisungen auf Landesebene u. E. auf die dortigen Regelungen berufen.
Mit Schreiben vom (bekannt gemacht am ) veröffentlichte das BMF die Nichtbeanstandungsregelung vom erneut unter Verweis auf deren unveränderte Gültigkeit.26 Hierin tritt deutlich der Konflikt zwischen Bund und Ländern zu Tage: Das BMF teilt den Ländern nämlich u. a. mit, dass eine auf § 148 AO fußende Bewilligung von Buchführungserleichterungen grundsätzlich durch den Steuerpflichtigen zu beantragen sein soll (vgl. AEAO zu § 148 AO) und eine Abweichung hiervon zwischen Bund und Ländern abzustimmen ist (§ 21a FVG). Da eine solche Abstimmung nicht erfolgt ist, stellt sich das BMF den Ländern, die einen antragsfreien Verfahrensgang vorsehen, entgegen. Öffentlich zugängliche Informationen der Länder zu diesem Vorstoß des Bundes erwarten wir kurzfristig. Niedersachsen lässt bereits verlauten, dass es an dem geplanten antragsfreien Verfahren festhalten will.
Steuerpflichtigen und ihren Beratern ist somit zu empfehlen, zunächst die Informationsseiten der jeweils zuständigen obersten Finanzbehörde der Länder zu konsultieren. Sollten hier keine Informationen auffindbar sein, sollte das zuständige Finanzamt kontaktiert und um Auskunft sowie um Überlassung einer entsprechenden Internverfügung gebeten werden – falls verfügbar. Kann eine solche nicht bereitgestellt werden, ist anzuraten, vorsorglich einen Antrag auf Buchführungserleichterung gem. § 148 AO zu stellen, der die Regelungen zur verlängerten Nichtbeanstandungsregelung des jeweiligen Landes in Bezug nimmt.
Wurde die Verlängerung der Nichtbeanstandungsregelung mit den entsprechenden Voraussetzungen nur als Pressemitteilung und ohne ein verwaltungsinternes Aktenzeichen im Internet veröffentlicht, empfehlen wir, eine Klärung mit dem zuständigen Finanzamt herbeizuführen, ob ein individueller Antrag i. S. des § 148 AO unter Berufung auf die Verlautbarung erforderlich ist.
4. Nachweis der Nicht-Verfügbarkeit einer Cloud-TSE
Die für die meisten Bundesländer vorgesehene (alternative) Voraussetzung für die Inanspruchnahme der verlängerten Nichtbeanstandungsregelung stellt Steuerpflichtige u. U. vor die Herausforderung, die Nicht-Existenz eines Umstands nachweisen zu müssen – nämlich die Nicht-Verfügbarkeit einer zertifizierten Cloud-TSE. Da das BSI seine Zertifizierungsergebnisse allenfalls mit Verzögerung veröffentlicht, müssten Steuerpflichtige streng genommen zur Erbringung des Nachweises bei allen im Zertifizierungsverfahren befindlichen Anbietern abfragen, ob diese erfolgt und ihr jeweiliges Produkt verfügbar ist. Dies ist nicht operationalisierbar.
Stattdessen sollte das BSI eine Unterlage zur Verfügung stellen, die die noch nicht erfolgte Zertifizierung der Cloud-TSE bestätigt und von den Steuerpflichtigen der Verfahrensdokumentation hinzugefügt werden kann. Alternativ könnte die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP vom als ausreichend angesehen werden27 oder eine Bestätigung des Kassenherstellers eingeholt werden.
Fazit
Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass auf dem Weg zu einer höheren Manipulationssicherheit sowie einer verbesserten Nachvollziehbarkeit und Prüfbarkeit von Bargeschäften noch einige Schritte zu gehen sind. Eine fehlende oder politisch nicht erreichbare Abstimmung zwischen Bund und Ländern darf daher nicht dazu führen, dass das grundsätzlich zu befürwortende Projekt der Finanzverwaltung „auf der Zielgeraden“ scheitert, etwa, weil suboptimale technische Lösungen erzwungen werden.28 Insbesondere die kurzfristige Bekanntmachung des offenbar schon seit dem vorliegenden BMF-Schreibens erhöhen die Rechtssicherheit der Steuerpflichtigen in dieser Sache nicht.
Inwieweit in den Bundesländern weitere Billigkeitsmaßnahmen erlassen werden, etwa für den Fall, dass es weitere Verzögerungen bei der Verfügbarkeit von Cloud-TSE-Lösungen oder durch neue lokale Lockdowns gibt, bleibt abzuwarten.
Autoren
Fundstelle(n):
BBK 2020 Seite 876 - 883
NWB LAAAH-57272
1Siehe NWB Online-Nachricht v. NWB NAAAH-53074.
:003.
3Vgl. Wied, Vom Wohl und Weh der Belegausgabepflicht ab 2020, BBK 2/2020 S. 80 NWB TAAAH-39218.
5Vgl. -a/20/10011 :001 NWB BAAAH-55612.
6Vgl. :001, BStBl 2019 I S. 1010 NWB LAAAH-34462.
7Vgl. zu den Einbaukosten der technischen Sicherheitseinrichtung: -a/19/10006 :007 NWB GAAAH-56510.
8Vgl. BSI, Zertifizierte Produkte – Fiskalisierung, vgl. www.bsi.bund.de (Abruf: ).
9Vgl. Hülshoff/Wied, Einzelaufzeichnungspflichten bei Bargeschäften, NWB 28/2017 S. 2094 NWB BAAAG-48821.
10Ausgenommen sind z. B. Fahrkarten-, Waren- und Dienstleistungsautomaten, Taxameter und Glücksspielgeräte.
11Vgl. z. B. die Corona-Statistiken des Statistischen Bundesamtes, http://go.nwb.de/fd2r3.
12Vgl. Seiten des BSI: http://go.nwb.de/42mun.
13Vgl. z. B. 3-S031.9/4; :003.
:003.
15Vgl. http://go.nwb.de/tejsz; http://go.nwb.de/pp8f3; http://go.nwb.de/norzk.
.
17Vgl. http://go.nwb.de/jwz8d.
18Vgl. http://go.nwb.de/mimwc; http://go.nwb.de/r4gph.
19Vgl. http://go.nwb.de/39a68.
Fin III F 2.
21Allgemeinverfügung des Ministeriums der Finanzen und für Europa des Landes Brandenburg v. .
22Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP vom , BT-Drucks. 19/21351 S. 3.
23Diese Abstimmung ist zu erkennen an den (oft als selbstverständlich erachteten und leicht überlesenen) Formulierungen in den BMF-Schreiben: „Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder...“ oder „Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder...“.
24Zum Begriff des „betrauten Amtsträgers“ vgl. Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK, AO, 2020, § 146b Rz. 68 ff.; Schwarz/Pahlke, AO, § 146b Rn. 6 f.
:003.
26Vgl. http://go.nwb.de/ykezu.
27Vgl. BT-Drucks. 19/21351 S. 3: „Mehrere Hersteller [...] teilten mit, dass die von ihnen gestellten Zertifizierungsanträge nicht bis zum abgeschlossen sein werden und daher voraussichtlich keine Cloud-basierte TSE am Markt verfügbar sein werde.“
28Bezeichnend an der TSE ist, dass sich hier fast alle Bundesländer über die Anweisungen des BMF hinweggesetzt haben, da ein politischer Kompromiss zwischen Bund und Ländern offenbar nicht zu erreichen war. Eine ähnliche Auseinandersetzung gibt es auch beim seit Wochen überfälligen finalen BMF-Schreiben zur EU-Anzeigepflicht für Steuergestaltungen (DAC 6), zu dem das BMF sich mit den Ländern nicht einigen kann.