Ausübung von Wahlrechten in der Überleitungsrechnung nach § 60 Abs. 2 EStDV
Kernaussagen
- Die nachträgliche Inanspruchnahme der Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG in einer korrigierten Überleitungsrechnung i. S. des § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV ist nach Ansicht des BFH eine Bilanzänderung i. S. von § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG, die nur zulässig ist, wenn und soweit zugleich eine Bilanzberichtung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG erfolgt.
- In der Beratungspraxis muss mit Blick auf beide Entscheidungen des BFH vor allem in den Fällen, in denen die Steuerbilanz zweiteilig in Form von Handelsbilanz und Überleitungsrechnung dem FA vorgelegt wird, auf eine sorgfältige Abgrenzung zwischen innerbilanziellen und außerbilanziellen Anpassungen geachtet werden.
- Innerbilanzielle Wahlrechte werden mit der ersten dem FA vorgelegten Steuerbilanz ausgeübt; eine Steuerbilanz liegt bereits dann vor, wenn der Stpfl. seiner Handelsbilanz eine Überleitungsrechnung i. S. des § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV beigefügt hat.
I. Der Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, nahm im Veranlagungsjahr 2011 für den geplanten Erwerb von Windenergieanlagen einen gewinnmindernden Investitionsabzugsbetrag (IAB) nach § 7g Abs. 1 EStG i. H. von 200.000 € in Anspruch.
Die Anschaffung der Anlagen erfolgte im Streitjahr 2012, für das die Klägerin beim FA ihre Handelsbilanz einreichte und dieser eine Überleitungsrechnung i. S. des § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV zur Anpassung an die steuerrechtlichen Vorschriften beifügte. Darin nahm die Klägerin – trotz der gewinnerhöhenden Hinzurechnung von 200.000 € (§ 7g Abs. 2 Satz 1 EStG) des im Vorjahr gebildeten IAB – keine 40%ige Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG vor, sondern erfasste lediglich eine 20%ige Abschreibung der Anlagen unter Verweis auf § 7g Abs. 5 EStG.
Vier Monate später, noch bevor das FA einen Körperschaftsteuerbescheid erlassen hatte, reichte die Klägerin eine korrigierte Überleitungsrechnung ein, in der sie nunmehr die Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG i. H. von 200.000 € berücksichtigte und zugleich die bisher nach § 7g Abs. 5 EStG ausgewiesenen Abschreibungsbeträge um 40.000 € (20 % von 200.000 €) vermindert auswies.
Das FA sah hierin eine unzulässige Bilanzänderung i. S. von § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG und legte der Veranlagung der Klägerin die ursprünglich zusammen mit der Handelsbilanz eingereichte (erste) Überleitungsrechnung zugrunde. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
II. Die Entscheidung des BFH
Die Revision der Klägerin blieb ebenfalls erfolglos. Die nachträgliche Inanspruchnahme der Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG in einer korrigierten Überleitungsrechnung i. S. des § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV ist nach Ansicht des BFH eine Bilanzänderung i. S. von § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG, die nur zulässig ist, wenn und soweit zugleich eine Bilanzberichtung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG erfolgt. Eine Bilanzberichtigung ist aber mangels Fehlerhaftigkeit nicht durchgeführt worden.
Sowohl die Bildung des IAB nach § 7g Abs. 1 EStG als auch die Auflösung des IAB nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG sind außerbilanziell vorzunehmen;2 die im Jahr der Anschaffung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG im Wahlrecht des Stpfl. stehende Sonderabschreibung i. H. von 40 % der Anschaffungskosten des angeschafften Wirtschaftsguts stellt aber eine „innerbilanzielle Maßnahme“ dar.3 Der Stpfl. kann entscheiden, ob er durch die Inanspruchnahme der Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG die (außerbilanzielle) gewinnerhöhende Auflösung des zuvor gebildeten IAB mit korrespondierendem Abschreibungsaufwand neutralisiert oder nicht. Nimmt er die Sonderabschreibung in Anspruch, mindert sich das Abschreibungsvolumen für den verbleibenden Abschreibungszeitraum um den bereits abgesetzten Betrag; verzichtet er auf die Sonderabschreibung, kann er in den Folgejahren entsprechend höheren Abschreibungsaufwand verbuchen. Da sich über die Abschreibungshöhe der in der steuerlichen Schlussbilanz auszuweisende Bilanzansatz für das Investitionsgut bestimmt (§ 4 Abs. 1 i. V. mit § 252 Abs. 1, § 253 Abs. 1 HGB), kann das Sonderabschreibungswahlrecht nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG nur innerbilanziell ausgeübt werden.
Dem steht auch nicht entgegen, dass das in § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG eingeräumte Wahlrecht zur Vornahme einer 40%igen Sonderabschreibung seinerseits voraussetzt, dass in mindestens gleicher Höhe ein zuvor gebildeter IAB gem. § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG aufgelöst wird und diese Auflösung (ebenso wie die Bildung des IAB) nicht auch innerbilanziell, sondern außerbilanziell erfolgt.4
Die Klägerin habe in dem zu entscheidenden Fall daher zutreffend zwar die außerbilanzielle Hinzurechnung des IAB nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG vorgenommen, aber auf die Inanspruchnahme der Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG verzichtet, weil eine solche in der ersten dem FA eingereichten Überleitungsrechnung i. S. des § 60 Abs. 1 Satz 1 EStDV nicht enthalten war. Die Überleitungsrechnung gehört zur Steuerbilanz, so dass ihre Änderung an die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG geknüpft ist und eine in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehende Bilanzberichtigung i. S. von § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG voraussetzt.
Da es im Streitfall an einer die Steuerbilanzänderung rechtfertigenden Steuerbilanzberichtigung fehlte, versagte der BFH die von der Klägerin durch geänderte Wahlrechtsausübung geltend gemachte Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG.
Die unterschiedliche Behandlung der bilanzierenden Stpfl. und den Einnahmen-Überschussrechnern, die das Abschreibungswahlrecht des § 7g Abs. 2 Satz 2 EStG wegen des für sie nicht geltenden § 4 Abs. 2 EStG noch bis zum Eintritt der Bestandskraft der betroffenen Steuerfestsetzung nochmal geändert ausüben können, hält der BFH als Ausfluss der unterschiedlichen Gewinnermittlungsarten für gerechtfertigt.5 Der Grundsatz der Totalgewinnidentität werde nicht verletzt, weil bei unterbliebener Sonderabschreibung entsprechend höheres Abschreibungsvolumen für die Folgejahre verbleibt.6
III. Anmerkungen
Die Entscheidung überzeugt im Ergebnis und in ihrer dogmatischen Herleitung, verlangt der Beratungspraxis aber zugleich ab, sorgfältig zwischen innerbilanziell auszuübenden steuerlichen Wahlrechten und außerbilanziell vorzunehmenden Korrekturen zu differenzieren.
1. Differenzierung zwischen inner- und außerbilanziellen Regelungen des § 7g Abs. 2 EStG
1.1 § 7g EStG als bilanzielle Hybridregelung
§ 7g Abs. 2 EStG weist die Besonderheit auf, dass hierin sowohl ein innerbilanzielles Wahlrecht geregelt ist, nämlich die Möglichkeit zur Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG, als auch eine außerbilanziell vorzunehmende Korrektur, nämlich die gewinnerhöhende Auflösung des IAB nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG, die ihrerseits wiederum Voraussetzung für die Sonderabschreibung ist. Abschreibungswahlrechte sind letztlich nichts anderes als Bewertungswahlrechte, die stets innerhalb der Bilanz ausgeübt werden, weil die Bewertung der einzelnen Bilanzposten unverzichtbarer Teil der Bilanzerstellung ist; für das Abschreibungswahlrecht nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG kann nichts anderes gelten.
1.2 Zweistufige Gewinnermittlung
Die Unterscheidung zwischen innerbilanzieller und außerbilanzieller Behandlung besteht darin, dass die außerbilanziellen Korrekturen die Bilanzansätze einschließlich des Steuerbilanzkapitals unberührt lassen, während innerbilanzielle Anpassungen entweder in Form eines erfolgsneutralen Aktiv-Aktiv-Tausches oder Aktiv-Passiv-Tausches erfolgen oder aber durch erfolgswirksame und damit das Steuerbilanzkapital verändernde Bilanzpostenanpassungen bedingt sind.
Die steuerliche Gewinnermittlung ist für bilanzierungspflichtige Stpfl. nach der Konzeption des Gesetzgebers zweistufig vorgesehen:
- In der 1. Stufe ist ein Steuerbilanzgewinn zu ermitteln und
- in der 2. Stufe sind nach den Steuergesetzen vorgesehene außerbilanzielle Korrekturen vorzunehmen.
Der Steuerbilanzgewinn der 1. Stufe ergibt sich dabei entweder aus § 4 Abs. 1 EStG durch unmittelbare Erstellung der Steuerbilanz oder nach § 5 EStG durch Ableitung der Steuerbilanz aus der Handelsbilanz. Die im Fall des § 5 EStG erforderlichen Anpassungen erfolgen zwar außerhalb der Handelsbilanz, aber steuerrechtlich „innerbilanziell“, weil durch sie erst die Transformation zur Steuerbilanz vollzogen wird. Wird der Gewinn – mangels handelsrechtlicher Buchführungspflicht – nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt, entfällt dieser Schritt, weil direkt eine Steuerbilanz zu erstellen ist. Die Anpassungen auf der 2. Stufe umfassen Ergebniskorrekturen, die nach Hinzurechnung zu dem auf der 1. Stufe ermittelten Steuerbilanzgewinn die ertragsteuerlich maßgebende Einkünftehöhe ergeben.
1.3 Verknüpfung innerbilanzieller und außerbilanzieller Buchungen
Die Konzeption des § 7g Abs. 2 EStG ist in dieser Hinsicht tückisch, weil das auf der 1. Stufe auszuübende Wahlrecht zur Sonderabschreibung bis zu 40 % (§ 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG) die gleichzeitige außerbilanzielle Hinzurechnung des IAB bedingt. Soll die (innerbilanzielle) Sonderabschreibung in Anspruch genommen werden, muss zwingend der IAB (außerbilanziell) aufgelöst werden. Die (außerbilanzielle) Auflösung des IAB führt aber umgekehrt nicht zwingend zu (innerbilanziellem) Sonderabschreibungsaufwand in gleicher Höhe.
1.4 Auswirkung auf die Neufassung des § 7g Abs. 2 EStG
War die Auflösung des IAB in der für den Streitfall und noch bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung des § 7g EStG noch zwingend im Jahr der Anschaffung vorzunehmen, so ist vom Gesetzgeber seit 2016 auch hierfür ein Wahlrecht in § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG7 eingeräumt: Es „können“ bis zu 40 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten hinzugerechnet werden, maximal i. H. eines zuvor nach § 7g Abs. 1 EStG – ebenfalls außerbilanziell – gebildeten IAB. Unverändert ist die (außerbilanzielle) gewinnerhöhende Auflösung des IAB aber auch weiterhin materielle Voraussetzung dafür, dass sich dem Stpfl. das Sonderabschreibungswahlrecht nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG eröffnet. Damit ist das Urteil zwar zu § 7g EStG a. F. ergangen, aber zugleich auch für die aktuelle Rechtslage richtungsweisend.
1.5 Tabellarischer Überblick
Die in § 7g EStG geregelten inner- und außerbilanziellen Gewinnauswirkungen lassen sich zusammenfassend wie folgt darstellen:
Gesetzliche Norm | Regelungsinhalt | Regelungsinhalt |
---|---|---|
§ 7g Abs. 1 EStG | Wahlrecht zur Bildung eines IAB | außerbilanziell |
§ 7g Abs. 2 Satz 1 EStG | a. F.: Zwingende Aufdeckung des IAB im Jahr der Anschaffung oder Herstellung des Wirtschaftsguts | außerbilanziell |
n. F.: Wahlrecht zur Aufdeckung des IAB im Jahr der Anschaffung des Wirtschaftsguts | ||
§ 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG | Wahlrecht zur Sonderabschreibung bis zu 40 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten; maximal i. H. der nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG vorgenommenen Hinzurechnung | innerbilanziell |
§ 7g Abs. 5 EStG | Wahlrecht zur Sonderabschreibung neben § 7 Abs. 1 oder Abs. 2 EStG bis zu insgesamt 20 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten | innerbilanziell |
Hinweis
Von den außer- und innerbilanziellen Regelungen des § 7g EStG sind im Weiteren noch die ebenfalls in der Norm enthaltenen materiellen Korrekturvorschriften abzugrenzen. So sehen § 7g Abs. 3 EStG für den Fall der Nichtauflösung des IAB bis zum Abschluss des dritten Wirtschaftsjahres nach Bildung und § 7g Abs. 4 EStG für den Fall, dass das angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgut nicht mindestens zwei Jahre im inländischen Betriebsvermögen verbleibt, die rückwirkende Änderung der Steuerfestsetzung des IAB-Bildungsjahres vor.
2. Die Definition der „Steuerbilanz“
Der XI. Senat des BFH lehnt sich für die Frage, ob die Klägerin mit der ersten Überleitungsrechnung bereits eine „Steuerbilanz“ vorgelegt hat, an die Entscheidung des I. Senats im Verfahren I R 69/158 an. Unter Rz. 20 c) bb) hatte sich der BFH dort mit der Frage beschäftigt, welche äußerliche Gestalt eine Steuerbilanz haben kann. Im Ergebnis gibt es folgende drei Möglichkeiten:
- die reine Handelsbilanz mit der Erklärung, diese sei so auch der steuerlichen Beurteilung zugrunde zu legen (sog. Einheitsbilanz),
- die Handelsbilanz mit steuerrechtlichen Zusätzen bzw. Anmerkungen (Überleitungsrechnung i. S. von § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV) und
- die eigenständige Steuerbilanz (§ 60 Abs. 2 Satz 2 EStDV), die der Stpfl. der Finanzbehörde im Zusammenhang mit seiner Steuererklärung überreicht.
Will man – wie vorliegend die Klägerin – die Sonderabschreibungsmöglichkeit nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG nutzen, scheidet die erstgenannte Möglichkeit der Einheitsbilanz aus, weil die Abschreibung nur in der Steuerbilanz, nicht aber in der Handelsbilanz zulässig ist. Die von der Klägerin gewählte Variante 2, die steuerlichen Abweichungen von der Handelsbilanz nicht durch Erstellung einer separaten Steuerbilanz, sondern durch eine Überleitungsrechnung nach § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV darzulegen, war zulässig und ausreichend. Damit aber war in der Konsequenz der Moment der „Einreichung der Vermögensübersicht (Bilanz) beim FA“ i. S. von § 4 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG als der Moment zu definieren, in welchem dem FA die Handelsbilanz zusammen mit der ersten Überleitungsrechnung vorgelegt wurde.
3. Das Verhältnis von § 4 Abs. 2 EStG zum formellen Änderungsrecht der Abgabenordnung
Die zweite, korrigierte Überleitungsrechnung war daher – ausgehend von den oben aufgezeigten Darstellungsvarianten – eine neue, inhaltlich abgeänderte Steuerbilanz. Eine solche Bilanzänderung ist den Restriktionen des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG unterworfen; ohne eine gleichzeitige gegenläufige Bilanzberichtigung i. S. von § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG ist sie nicht möglich. Das gilt unabhängig davon, ob die auf der Bilanz basierende Steuerfestsetzung noch änderbar ist oder – wie im Fall der Klägerin – noch gar nicht erfolgt ist. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ist materielles Recht, das den Fall einer geänderten Ausübung bilanzieller Wahlrechte betrifft und das nicht etwa deshalb unbeachtet bleiben darf, weil noch keine Bestandskraft der Steuerfestsetzung eingetreten ist.
Für eine Bilanzänderung müssen stets die materiellen Änderungsvoraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG erfüllt sein; und für eine darauf basierende Steuerfestsetzung zusätzlich auch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen: Falls es bereits eine Steuerfestsetzung gibt, muss diese noch änderbar sein (entweder aufgrund eines Einspruchs oder aufgrund von Änderungsvorschriften). Allein die fehlende Bestandskraft der Steuerfestsetzung macht das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der jeweiligen Steuergesetze nicht entbehrlich. So wie auch Betriebsausgaben bei der erstmaligen Veranlagung oder im anhängigen Einspruchsverfahren nur berücksichtigt werden können, wenn sie nicht den Restriktionen nach § 4 Abs. 5 EStG unterfallen, können auch Änderungen der Steuerbilanz bei der erstmaligen Veranlagung oder im anhängigen Einspruchsverfahren nur berücksichtigt werden, wenn sie nicht durch § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ausgeschlossen sind.
IV. Parallelentscheidung des BFH vom 27.5.2020 - XI R 8/18
Der BFH bekräftigt die im Rahmen von § 4 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG gebotene Differenzierung zwischen innerbilanziellen Änderungen und außerbilanziellen Hinzurechnungen in dem am selben Tag im Verfahren XI R 8/18 verkündetem Urteil,9 in dem es um die betragsmäßige Reichweite von § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ging. Hier wollte die Klägerin nachträglich Sonderabschreibungen (nach dem FördGG) in Anspruch nehmen, um (auch) außerbilanzielle Gewinnerhöhungen des Betriebsprüfers aus der Hinzurechnung einer Rückstellung für eine Investitionszulagenrückzahlung zu neutralisieren. Der zulässige Umfang einer Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG bestimmt sich der Höhe nach ausschließlich nach den innerbilanziellen Gewinnauswirkungen der zeitgleichen Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG. Gewinnerhöhungen, die sich aus geänderten außerbilanziellen Hinzurechnungen ergeben, eröffnen für eine Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG keinen Raum, können also vor allem auch nicht durch eine geänderte Ausübung von Bilanzierungswahlrechten kompensiert werden. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um ein steuerliches oder handelsrechtliches Bilanzierungswahlrecht handelt. Bei einer solchen außerbilanziell verursachten Gewinnerhöhung handelt es sich nicht um eine innerbilanzielle Gewinnerhöhung, sondern um eine Erhöhung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 2 EStG.
V. Bedeutung für die Beratungspraxis
In der Beratungspraxis muss mit Blick auf beide Entscheidungen des BFH vor allem in den Fällen, in denen die Steuerbilanz zweiteilig in Form von Handelsbilanz und Überleitungsrechnung dem FA vorgelegt wird, auf eine sorgfältige Abgrenzung zwischen innerbilanziellen und außerbilanziellen Anpassungen geachtet werden.
1. Beschränkung auf innerbilanzielle Anpassungen
In die steuerliche Überleitungsrechnung nach § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV gehören nur innerbilanzielle Anpassungen, sowohl die notwendigen als auch solche, die sich aus Wahlrechtsausübungen ergeben. Unter Berücksichtigung der Überleitungsrechnung ergibt sich der Steuerbilanzgewinn, der wiederum den Wert des Steuerbilanzkapitals mitbestimmt. An den Steuerbilanzgewinn und das sich hieraus ableitende Steuerbilanzkapital können über § 4 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG hinaus auch noch weitere Vorschriften anknüpfen. Neben den Vorschriften des UmwStG ist das bspw. bei der Beschränkung des Schuldzinsenabzugs nach § 4 Abs. 4a EStG der Fall. Auch im Rahmen des § 4 Abs. 4a EStG unterscheidet der BFH zwischen dem Steuerbilanzgewinn und den – durch außerbilanzielle Korrekturen modifizierten – Einkünften aus Gewerbebetrieb i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 2 EStG.10
Hinweis
Die außerbilanziell vorzunehmenden Korrekturen des Steuerbilanzgewinns sollten gesondert aufgezeichnet und nicht mit der Überleitungsrechnung nach § 60 Abs. 2 Satz 1 EStG vermischt werden. Spätere Änderungen innerhalb dieser (außerbilanziellen) Gewinnermittlungsstufe unterfallen nicht den Restriktionen des § 4 Abs. 2 EStG.
2. Zeitpunkt der Ausübung des Wahlrechts
Mit der Abgabe der erstmaligen Steuerbilanz beim FA sind innerbilanziell auszuübende Wahlrechte verbraucht. Die Steuerbilanz enthält insoweit rechtsgestaltende Erklärungen, die nach Abgabe der Bilanz – völlig unabhängig vom Stand der Veranlagungsarbeiten – nicht mehr geändert werden können. Diese temporäre Wahlrechtsbeschränkung ist vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt; er hat sie in § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG normiert. Das bedeutet für die Beratungspraxis, dass hinsichtlich der innerbilanziell auszuübenden Wahlrechte bereits bei Erklärungsabgabe Entscheidungsklarheit darüber vorliegen muss, wie die Wahlrechte ausgeübt werden sollen. Eine spätere Änderung ist weder durch Einspruch noch bei Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO durch Antrag auf Änderung möglich. Denn die bilanzielle Änderungsmöglichkeit wird ausweislich des Wortlauts in § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht erst dadurch beschränkt, dass eine Steuerfestsetzung erfolgt oder gar ihre Bestandskraft eingetreten ist, sondern dadurch, dass dem FA eine Steuerbilanz vorgelegt wird. Daraus folgt auch, dass bereits die erste abgegebene Steuererklärung – sei es in Form einer Einheitsbilanz, einer Handelsbilanz mit beigefügter Überleitungsrechnung oder einer gesonderten Steuerbilanz – zum Wahlrechtsverbrauch bezüglich innerbilanzieller Wahlrechte führt.
3. Geplante Änderung des § 7g EStG
Hinsichtlich des § 7g EStG gilt es, die jeweils maßgebende Fassung im Blick zu haben. Nach der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung musste die Bildung des IAB im Jahr der Anschaffung des Investitionsguts zwingend nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG außerbilanziell hinzugerechnet werden. Wurde dies bei der eingereichten Gewinnermittlung vergessen, konnte die spätere (außerbilanzielle) Nachholung nicht mehr durch die innerbilanzielle Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG kompensiert werden.
Nach der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung gilt zwar insoweit das Gleiche: Man kann die unterlassene außerbilanzielle Hinzurechnung ebenfalls nicht durch die innerbilanzielle Sonderabschreibung kompensieren; der Gestaltungsspielraum hat sich aber insofern erweitert, als der IAB bis zum Ende des dritten Wirtschaftsjahres stehen gelassen und ggf. im Zuge einer anderen Investition genutzt werden kann, weil die Voraussetzung der Investitionskonkretisierung nach § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG a. F. entfallen ist.
Derzeit ist es zudem noch möglich, gewinnerhöhende Prüfungsfeststellungen durch nachträgliche Bildung eines IAB für in den Folgejahren bereits angeschaffte Wirtschaftsgüter zu kompensieren; denn die Bildung des IAB nach § 7g Abs. 1 EStG ist als außerbilanziell auszuübendes Wahlrecht ausgestaltet. § 4 Abs. 2 EStG ist nicht anwendbar, weil die Bildung des IAB nicht innerbilanziell erfolgt. Nach dem aktuellen Gesetzentwurf zum Jahressteuergesetz 2020 plant der Gesetzgeber, diese Möglichkeit zukünftig zu unterbinden. Ab dem VZ 2021 soll der IAB nicht mehr gebildet werden können, wenn für den VZ der Bildung bereits ein bestandskräftiger Steuerbescheid vorliegt und die Investition bereits tatsächlich durchgeführt worden ist.11 Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die Bildung des IAB der Kompensation von Mehrergebnissen des Außenprüfers dient.
VI. Fazit
Bei der Erstellung des Jahresabschlusses ist die Trennung von innerbilanziellen Anpassungen und außerbilanziellen Korrekturen unverzichtbar. Innerbilanzielle Anpassungen an das Steuerrecht und außerbilanzielle Korrekturen sollten getrennt aufgezeichnet werden. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung steuerlicher Normen, die – wie § 7g EStG – sowohl innerbilanzielle als auch außerbilanzielle Regelungen enthalten, weil Bildung und Auflösung des IAB außerbilanziell erfolgen, die Inanspruchnahme der Sonderabschreibungen(en) aber innerbilanziell erfolgt.
Innerbilanzielle Wahlrechte werden mit der ersten dem FA vorgelegten Steuerbilanz ausgeübt; eine Steuerbilanz liegt bereits dann vor, wenn der Stpfl. seiner Handelsbilanz eine Überleitungsrechnung i. S. des § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV beigefügt hat. Die steuerliche Prüfung, ob ein innerbilanzielles Wahlrecht ausgeübt wird, sollte daher bis zur erstmaligen Abgabe der Steuerbilanz beim FA abgeschlossen sein. Denn innerbilanzielle Wahlrechte – wie hier die Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG – unterfallen der materiellen Änderungsschranke des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG bereits mit Einreichung der Steuerbilanz beim FA; auf den Zeitpunkt der Steuerfestsetzung oder ihrer Bestandskraft kommt es nicht an.
Autorin
RiFG Dipl.-FW Katja Lebelt
ist seit 2013 Richterin am FG Berlin-Brandenburg und war zuvor als Steuerberaterin und Rechtsanwältin tätig; seit 2002 ist sie zudem in der Steuerberaterausbildung und -fortbildung tätig, vornehmlich in den Fachbereichen Verfahrensrecht und Umwandlungssteuerrecht.
1Zu einem Fehler bei der Erstellung der Überleitungsrechnung im Rahmen der E-Bilanz vgl. Wiesner, StuB 2020 S. 586 NWB OAAAH-54452.
2Vgl. NWB UAAAH-60314, Rz. 12-13, Kurzinfo StuB 2020 S. 808 NWB IAAAH-60652.
3Vgl. NWB UAAAH-60314, Rz. 15, mit Verweis auf NWB EAAAH-46270, BStBl 2020 II S. 276.
4Vgl. NWB UAAAH-60314, Rz. 18.
5Vgl. NWB UAAAH-60314, Rz. 29, mit Verweis auf NWB EAAAC-46917, BFH/NV 2007 S. 1293, dort unter II.2.f, Rz. 31.
6Vgl. NWB UAAAH-60314, Rz. 30.
7Geändert durch Steueränderungsgesetz v. , BGBl 2015 I S. 1834, mit Wirkung zum .
8Vgl. NWB NAAAF-84768, BStBl 2017 II S. 75.
9Vgl. NWB OAAAH-60316, Kurzinfo StuB 2020 S. 808 NWB IAAAH-60652.
10Vgl. NWB MAAAH-51168; vgl. Seifert, StuB 2020 S. 601 NWB XAAAH-54984.
11§ 7g Abs. 2 Satz 2 EStG i. d. F. des Entwurfs zum JStG 2020.