Unternehmensbewertung in der Praxis von KMU
Wert ist nicht gleich Preis
Im Rahmen der Unternehmensnachfolge ist die Frage nach dem Wert des Unternehmens häufig die erste, die Unternehmer stellen. In den meisten Fällen ist diese erste Frage des Mandanten schon falsch gestellt. Denn eigentlich will er nicht den Wert, sondern den wahrscheinlich erzielbaren Preis erfahren. Deshalb ist es besonders wichtig, dass dem Berater der Unterschied zwischen diesen Größen bewusst ist, damit er nicht unwissentlich seinen Mandanten falsch berät.
Wert ist nicht gleich Wert
Bei den Wertgrößen sind der Gesamtkapitalwert und der Eigenkapitalwert zu unterscheiden. Unglücklicherweise wird in Deutschland der Begriff Unternehmenswert nicht einheitlich verwendet und bezeichnet manchmal den Gesamt-, manchmal den Eigenkapitalwert. Die Unterscheidung ist aber aus zweierlei Gründen wichtig:
- Das Pendant zum Kaufpreis, um den es bei Transaktionen letztendlich geht, ist der Eigenkapitalwert und nicht der Unternehmenswert (Gesamtkapitalwert).
- Bei den meisten Verfahren, die in der Praxis Anwendung finden, handelt es sich um sogenannte Bruttoverfahren, die den Unternehmenswert, also den Wert des gesamten Kapitals ermitteln.
Bewertungsverfahren im Überblick
Grundsätzlich kann man mit irgendeiner Sache – also auch mit Unternehmen – zwei Dinge tun: sie verkaufen oder sie selbst nutzen. Die Bewertungsverfahren lassen sich deshalb auch nach diesen zwei Optionen unterscheiden, wobei der Verkauf eines Unternehmens im Ganzen oder Stück für Stück erfolgen könnte. Der Verkauf Stück-für-Stück wird durch den Substanzwert abgebildet, der Verkauf im Ganzen durch den Marktwert und die weitere Nutzung durch den Erfolgswert.
1. Erfolgswert
Der Erfolgswert, oder richtiger: der Zukunftserfolgswert, ist der aus heutiger Sicht richtige Bewertungsansatz. Denn er bildet die Idee korrekt ab, dass der Wert eines Unternehmens aus seinen zukünftigen Überschüssen, auf heute „heruntergerechnet“ entsteht. Diesem Bewertungsansatz folgend haben sich eine Vielzahl von Verfahren entwickelt.
In der Bewertungspraxis finden dabei die Ertragswertverfahren und das Free-Cashflow-Verfahren (FCF) am häufigsten Anwendung. Bei allen Verfahren mit Ausnahme des vereinfachten Ertragswertverfahrens handelt es sich um Varianten des Kapitalwertmodells, d. h., dass
- in einem ersten Schritt die künftigen Überschüsse geplant oder prognostiziert werden und
- sie dann im zweiten Schritt mithilfe eines Diskontierungssatzes in ihren Barwert überführt werden.
2. Substanzwert
Verkäufer ermitteln den Substanzwert als Liquidationswert (Wert der Substanz abzgl. Veräußerungskosten), Käufer als Rekonstruktionswert (Wert der Substanz zzgl. Kosten des Erwerbs).
Ein Unternehmen über seine Substanz zu bewerten, entspricht von der Idee her einer Einzelbewertung. Die Annahme lautet hier also, dass das Unternehmen so viel wert ist wie die Summe seiner Teile, also der Vermögensgegenstände. Dabei wird übersehen, dass der Wert eines Unternehmens häufig gerade nicht in den Vermögensgegenständen selbst, sondern in ihrer gemeinsamen Verwendung liegt. Die Verknüpfungen zwischen den Vermögensgegenständen lösen sich aber bei Einzelveräußerung auf und gehen somit nicht in die Bewertung ein. Der Substanzwert ist daher regelmäßig der niedrigste Wertansatz und fungiert für Verkäufer somit meist als Preisuntergrenze.
Allerdings gibt es bedeutsame Ausnahmen. Unternehmen, die betriebsnotwendiges Immobilieneigentum besitzen, weisen heutzutage aufgrund der vielerorts gestiegenen Immobilienpreise gerade bei kleinen Unternehmen einen höheren Substanzwert als Erfolgswert auf. Das stellt die Ermittlung des Entscheidungswerts für Verkäufer vor die schwierige Aufgabe, unterschiedliche Szenarien berücksichtigen zu müssen.
3. Marktwert
Eine in der Praxis besonders beliebte und weit verbreitete Methode ist die Bewertung von Unternehmen anhand von Multiplikatoren. Grundsätzlich ergibt sich hier der Wert aus der Multiplikation einer Bezugsgröße, die für das Unternehmen bekannt ist, mit einem vom Markt stammenden Multiplikator. Typische Bezugsgrößen sind das EBIT, das EBITDA und der Umsatz.
Praxishinweis: Für mittelständische Unternehmen mit einem Unternehmenswert bis ca. 20 Mio. € sind die KMU-Multiples der Deutschen Unternehmerbörse dub.de eine geeignete und öffentlich kostenlos verfügbare Datenquelle.
Häufige Fehler in der Praxis im Rahmen von Bewertungen
Leider sind bei Bewertungen immer wieder bestimmte Fehler zu beobachten. Wurden die Bewertungen von Beratern angefertigt, kann dies schwerwiegende Folgen für den Mandanten haben, die entweder in zu niedrigen Verkaufspreisen oder in insgesamt fehlgeschlagenen Veräußerungsversuchen bestehen.
1. Ankereffekt
Ein typischer Fehler ist die Ermittlung eines vereinfachten Ertragswerts nach §§ 200 ff. BewG für die Ermittlung des Entscheidungswerts für den verkaufenden Mandanten. Dieser Wert ist in den meisten Fällen vollkommen unrealistisch und liegt im Vergleich zu den wahren Marktpreisen nicht selten bei dem doppelten oder dreifachen Wert. Diesen Wert merkt sich der Mandant jedoch, und somit bildet dieser zu hohe Wert einen sogenannten Anker. Der Ankereffekt ist ein Begriff aus der Kognitionspsychologie und beschreibt das Phänomen, dass Menschen bei Entscheidungen von bestimmten Umgebungsinformationen, den sogenannten „Ankern“, beeinflusst werden, ohne dass ihnen dieser Einfluss bewusst ist.
Praxishinweis: Vermeiden Sie daher unbedingt die Bekanntgabe des Wertes nach §§ 200 ff. BewG an einen Mandanten, der an einen Dritten verkaufen will.
2. Fehlende Definition der Bewertungsfunktion
Aufgrund der häufig geringen Bewertungskenntnisse von Mandanten besteht zwar regelmäßig der Wunsch, die Information über den Wert (bzw. eigentlich den erzielbaren Preis) zu erhalten. Zugleich gibt es jedoch nur eine geringe Zahlungsbereitschaft für die Erstellung einer entsprechenden Bewertung, da die Komplexität nicht bekannt ist. Daher finden sich am Markt für die Erstellung von Unternehmensbewertungen eine Vielzahl von Dumpingangeboten, die mit den kostenlosen Bewertungstools im Internet ihre extreme Ausformung gefunden haben.
Diesen Angeboten ist in aller Regel gemein, dass sie etliche Vereinfachungen vornehmen. Eine dieser Vereinfachungen ist das „Überspringen“ der Frage, was überhaupt Anlass, Zweck und Funktion der Bewertung sind. Damit sind die Ergebnisse solcher Bewertungen eigentlich per se wertlos, denn sie suggerieren, dass es den einen richtigen Wert für Unternehmen gibt – eine Auffassung, die wir seit gut 50 Jahren verneinen.
3. Handwerkliche Fehler
Auch in Bewertungsgutachten, die gegen Vergütung erstellt wurden, sind immer wieder Fehler zu finden. Wenn sich das Gutachten zumindest der Gliederung nach an den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung orientiert, können sich Fehler immer noch durch mangelndes Verständnis von Zusammenhängen und schlicht durch Faulheit des Bewerters ergeben. Die Vielzahl der Fälle soll durch einige Beispiele demonstriert werden.
Praxisbeispiel 1: Im April 2024 gibt ein Mandant eine Bewertung in Auftrag, weil er 2024 sein Unternehmen verkaufen möchte. Er erhält ein Gutachten auf den Stichtag 31.12.2022. Die Festlegung des Bewertungsstichtags hat sich hier lediglich an der Dokumentenlage orientiert (letzter vorliegender Jahresabschluss), nicht jedoch am Bewertungszweck.
Praxisbeispiel 2: Ein Mandant gibt eine Bewertung in Auftrag, weil er sein Unternehmen verkaufen möchte. Der Bewerter erstellt eine Planung für den Mandanten, um darauf aufbauend eine FCF-Bewertung vorzunehmen. Bei der Bestimmung des Kapitalkostensatzes erklärt der Bewerter kurzerhand, dass das Unternehmen sowie die gesamte Branche marktüblich sei und setzt den Betafaktor auf 1. (Der Betafaktor ist das Risikomaß im Capital-Asset-Pricing-Modell und repräsentiert das Risiko.) Das bloße Festlegen eines Werts ist stets ein Zeichen dafür, dass der Bewerter zu bequem war, den Wert zu ermitteln, die Ermittlung darzustellen und die dabei getroffenen Annahmen zu benennen, zu erläutern und zu begründen.
Fehler speziell bei der Auswahl des Multiplikators
1. Datenquelle
Für eine Bewertung mit Multiplikatoren muss entschieden werden, welche Datenquelle genutzt werden soll. Die öffentlich verfügbaren Quellen zeigen zum Teil erhebliche Unterschiede in wissenschaftlicher Fundierung, in Qualität, Quantität und Aktualität der Daten. Ferner stellt die Wahl der Bezugsquelle gewissermaßen auch eine Entscheidung über die verwendete Peergroup dar, da verschiedene Quellen hinsichtlich der Unternehmensgröße zu unterscheiden sind.
Mit zunehmender Größe der Unternehmen finden sich am Markt aufgrund einer anderen Risikostruktur höhere Multiples. Bei der Bewertung von mittelständischen Unternehmen sollten daher keine Multiples verwendet werden, die sich auf börsennotierte Unternehmen beziehen.
2. Bezugsgröße
Sofern bspw. Umsatz-, EBITDA- und EBIT-Multiples vorliegen, ist zu klären, welches am besten für die Bewertung geeignet ist. Grundsätzlich führt die Bewertung anhand mehrerer Multiples zu einer besseren Einschätzung des Werts im Sinne einer Gesamtbetrachtung. Den unterschiedlichen Multiples können unterschiedliche Vor- und Nachteile zugeordnet werden. Ferner ist es in manchen Branchen üblich, bestimmte Multiples zu verwenden.
3. Bandbreite
Multiplikatoren werden üblicherweise in einer Bandbreite angegeben, innerhalb derer sich die letzten Transaktionen bewegt haben. Bei der Bewertung mit Multiplikatoren muss daher eine Einschätzung erfolgen, welche Einflussgrößen in der Branche wesentlich für die Position eines Unternehmens innerhalb der Bandbreite ist. Die Unternehmensgröße, das erwartete Wachstum und die Umsatzrendite haben im Regelfall einen positiven Einfluss auf den Multiplikator.
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- wie die Unternehmensbewertung in den Nachfolgeprozess eingeordnet wird, welche Verfahren es gibt und welche Fehler in der Praxis häufig vorkommen, und
- wie die in der Praxis von KMU gängige Multiplikatorenmethode funktioniert und welche Stolpersteine bei dieser vermeintlich einfachen Methode unbedingt zu vermeiden sind.
Veranschaulicht werden die Verfahren durch zahlreiche Praxisbeispiele.
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