Money, Money, Money?

Auch in Steuerberaterkanzleien sind leistungsabhängige Vergütungssysteme weit verbreitet, doch sie haben ihre Tücken. Wissenschaftler und Praktiker warnen vor Risiken und Nebenwirkungen.

Genau 139 Studierende der Universität Bonn nahmen vor einigen Jahren an einem wissenschaftlichen Experiment teil: Sie bekamen die Aufgabe, Daten für ein Forschungsprojekt zu erfassen. Ein Teil der Gruppe kassierte dafür einen festen Lohn, der andere Teil darüber hinaus eine kleine leistungsabhängige Vergütung. Wenig überraschend stellten die Forscher fest, dass diejenigen Studierenden am meisten leisteten, denen der zusätzliche Verdienst in Aussicht gestellt worden war. Aber: Die jungen Leute klotzten nur dann mit besonderer Hingabe ran, wenn ihnen vor der Arbeit in einer kleinen Rede Wertschätzung für ihre Aufgabe vermittelt worden war. Ohne diese Ansprache leisteten die Studierenden trotz der versprochenen Extra-Belohnung sogar weniger – und machten überdies mehr Fehler.

„In unserem Experiment ist es trotz einer Leistungsvergütung zu einem Leistungsabfall gekommen, wenn die Probanden nicht durch anerkennende Aussagen zusätzlich motiviert wurden“, sagt Prof. Petra Nieken, Leiterin des Lehrstuhls für Human Resource Management am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die seinerzeit an dem Versuch mitgewirkt hat. Wahrscheinlich wurde der innere Antrieb der Teilnehmer, ihre „intrinsische Motivation“, geschwächt, wenn sie allein mit Bonbons in finanzieller Form geködert wurden. In der Wissenschaft ist das als „Korrumpierungseffekt“ bekannt.

Variable Vergütung ist weit verbreitet

Vergütungssysteme, die neben einem festen einen leistungsabhängigen Gehaltsanteil vorsehen, sind in der deutschen Wirtschaft dennoch weit verbreitet: Laut dem „Linked Personnel Panel“, einer repräsentativen Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der Uni Köln und des ZEW Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, bezahlen 58 Prozent der Privatbetriebe mit 50 oder mehr sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten hierzulande zumindest einige Mitarbeiter, insbesondere Führungskräfte, erfolgsabhängig.

Die konkreten Modelle variieren: Die zusätzliche, leistungsabhängige Vergütung kann von finanziellen Kennziffern wie zum Beispiel dem Umsatz, aber auch von weicheren qualitativen Indikatoren abhängen. Bemessungsgrundlage für leistungsorientierte Vergütungssysteme ist laut „Linked Personnel Panel“ in der Wirtschaft zumeist der persönliche oder der Unternehmenserfolg, während die Team- oder Gruppenleistung nur selten herangezogen wird.

Auch in vielen Steuerberaterkanzleien spielt das Instrument der leistungsabhängigen Bezahlung eine wichtige Rolle: Von den Steuerberatern und Steuerfachangestellten, deren Vergütung das Internet-Portal „Gehalt.de“ analysiert hat, bekamen 43 bzw. 12 Prozent auch Prämien, Provisionen oder Boni. Ihre variablen Gehaltsbestandteile entsprachen im Durchschnitt 10 bzw. 5 Prozent des jeweiligen Grundgehalts. Deutschlands größte Steuerberatungsgruppe ETL zum Beispiel bietet ihren Kanzleien die Möglichkeit, eine umsatzabhängige Vergütung einzuführen. Die Grundlage dafür ist in der Regel der erreichte Jahresumsatz des Mitarbeiters. Eine Finanzbuchhaltungskraft erhält dort eine Zusatzvergütung in Höhe von 20 Prozent des übersteigenden Grundumsatzes. „Da mit der Einführung der umsatzabhängigen Vergütung positive Effekte zu sehen sind, interessieren sich immer mehr Kanzleien dafür“, sagt der Steuerberater Torsten Lenk, Vorstand der ETL Systeme AG Steuerberatungsgesellschaft.

Unwillkommene Effekte

Wissenschaftliche Untersuchungen und Berichte aus der Praxis zeigen aber auch die Schattenseiten des Instruments: „Aus über 50 Jahren Forschung wissen wir, dass Geld ein sehr guter Motivator ist – das gilt so gut wie in jeder Branche auf diesem Planeten“, sagt Prof. Jochen Menges, Leiter des Lehrstuhls für Führung und Personalmanagement an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf. „Es gibt aber Nebenwirkungen und Nachteile, die man im Blick haben muss.“

Comic Variable VergütungGrundlegend ist zunächst die Frage, welche Leistungen in solchen Systemen überhaupt honoriert werden und wie Leistung darin gemessen wird. „Nur messbare Leistungen können Grundlage für eine Extra-Vergütung sein“, erklärt Menges. „Das kann dazu führen, dass wichtige Faktoren für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens wie Kundenzufriedenheit nicht incentiviert werden.“ Leistungsabhängige Vergütungssysteme seien oft aus der „Perspektive der alten Welt“ gedacht, während Mitarbeiter nicht belohnt würden, die sich Gedanken über zukunftssichernde Innovationen machen.

Auch der Kanzleiberater Ulf Hausmann legt den Finger auf diese Wunde: „Wenn sich Tantiemen am Umsatz orientieren, verhalten sich die Mitarbeiter entsprechend“, sagt er. Das funktioniere gut, wenn es in einem Unternehmen keinen Veränderungsbedarf gebe. Aber: „Ein solches System motiviert die Mitarbeiter nicht dazu, bei der Entwicklung von Dienstleistungen zu helfen, mit der sich Kanzleien in Zukunft in der digitalen Welt behaupten können.“

Finanzielle Anreize wirken sich bei unterschiedlichen Mitarbeitern zudem in sehr unterschiedlicher Weise aus, sie machen aus Minderleistern keine High-Performer. Ein Ökonomen-Trio aus Uwe Jirjahn (Universität Trier), Thomas Cornelissen (University College London) und John Heywood (University Wisconsin- Milwaukee) stellte in einer Untersuchung fest, dass eine leistungsgerechte Entlohnung Arbeitnehmer glücklich macht – aber nur die ohnehin überdurchschnittlich Produktiven. Sie wissen, dass sie fleißig sind und von einem solchen Modell am meisten profitieren.

Von Nachteilen und unerwünschten Nebenwirkungen kann auch der Steuerberater Daniel Hirsch berichten, Geschäftsführer der mwh Hirsch Steuerberatungsgesellschaft mbH in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern. Vor einigen Jahren stieg er in eine Kanzlei in Stralsund ein, die stark auf monetäre Anreize für die Mitarbeiter setzte. Hirschs Vorgänger hatte solche motivationsfördernden Instrumente angewandt, weil er häufig nicht präsent war. Doch der neue Chef war mit den vorgefundenen Verhältnissen nicht zufrieden: „Es gab zu stark voneinander abweichende Vereinbarungen in den einzelnen Abteilungen, die zu Missstimmungen innerhalb des Teams führten“, sagt er rückblickend. „Das zeigte mir, dass ich andere Wege gehen muss.“

Hirsch reklamiert für sich, leistungsgerechte, der Marktsituation angemessene Gehälter zu bezahlen, bezeichnet sich nach den Erfahrungen in Stralsund aber heute als Gegner erfolgsabhängiger Vergütung. Er setzt solche finanziellen Anreize nur noch ein, wenn Mitarbeiter an einzelnen, klar definierten Projekten arbeiten.

Betriebssegen hängt schief

Für den Personalmanagement-Professor Menges sind Erfahrungen wie die von Hirsch keine Überraschung: „Gehaltsunterschiede können zu Konflikten am Arbeitsplatz führen und den sozialen Zusammenhalt gefährden“, analysiert er. Wer mit Geld motiviere, müsse rechtfertigen, warum der eine Mitarbeiter mehr bekommt als der andere. Gelingt das nicht, gibt es Streit, und der Betriebssegen hängt schief.

Menges listet eine ganze Reihe von weiteren Fallstricken auf, über die Unternehmer zuweilen stolpern, die ihr Team mit Extra-Euros motivieren wollen. Vom „Korrumpierungseffekt“ war schon die Rede. Er führt dazu, dass zunächst „intrinsisch“ motivierte Mitarbeiter gleichsam vergessen, dass ihnen ihre Arbeit einmal Spaß gemacht hat, und nur noch die nächste Gehaltsüberweisung im Sinn haben. Nicht zuletzt kosten variable Vergütungssysteme auch Geld: Wer Boni auszahlen will, muss Verwaltungskosten für die Administration des Systems tragen.

Menges hat beobachtet, dass viele Unternehmen die Unzulänglichkeiten und unerwünschten Nebenwirkungen variabler Vergütungssysteme minimieren wollen, indem sie diese Systeme immer differenzierter und komplizierter ausgestalten. Doch auch diesen Weg sieht er mit Skepsis, weil er mit Intransparenz verbunden ist: „Incentive-Systeme sind fast immer fehleranfällig und funktionieren nicht für alle Ewigkeiten“, sagt er. „Wenn es plötzlich 20 Variablen für die Extra-Vergütung gibt, weiß ein Mitarbeiter nicht mehr, wofür er eigentlich belohnt wird.“

Was folgt daraus für Unternehmen? Petra Nieken rät ihnen, neben Geld auch andere Anreize einzusetzen. „Es gibt einen Zusammenhang zwischen erfolgsabhängiger Vergütung und Leistung, aber nicht-monetäre Komponenten wie zum Beispiel Statussymbole und ein charismatischer Führungsstil sind ebenfalls wichtig“, sagt sie.

„Wertschöpfung durch Wertschätzung“

Menges hält leistungsabhängige Vergütungssysteme für einfache Tätigkeiten oder für Berufe wie Immobilienmakler für geeignet, die sich um Faktoren wie die langfristige Kundenbindung nicht groß scheren müssen. In manchen Fällen könne ein Unternehmen auf monetäre Anreize auch allein deswegen nicht verzichten, weil sie branchenüblich sind und Mitarbeiter ohne sie zur Konkurrenz gehen würden.

Den übrigen Branchen und Unternehmen legt er indes ein anderes motivations- und leistungsförderndes Instrument ans Herz. „Es gibt Möglichkeiten zu motivieren, die nichts kosten und keine Nebenwirkungen haben“, verspricht er: Man müsse die Mitarbeiter mit denen zusammenbringen, die von ihrer Arbeit profitieren. „Das knüpft an unsere Grundmotivation an zu helfen.“

Menges vertritt einen bislang wenig praktizierten Ansatz, für den in den USA Adam Grant steht, der durch sein Buch „Give and Take“ über Fachkreise hinaus bekannt geworden ist. Zusammen mit dem Organisationspsychologen und Managementtheoretiker hat der Düsseldorfer Professor eine Studie über Arbeiter in mexikanischen Montagebetrieben gemacht, die wenig Geld für monotone Tätigkeiten bekommen, aber dennoch motiviert sind, weil sie so etwas Gutes für die Zukunft ihrer Familien tun können.

Ein näherliegendes Beispiel für die Methode ist der US-amerikanische Prothesenhersteller Stryker, der auch in Deutschland mit einigen Niederlassungen vertreten ist. Das Unternehmen führt seine Mitarbeiter mit Patienten zusammen. Die Stryker- Leute müssen im Anschluss für ihre Kollegen einen Bericht über diese Begegnungen schreiben. Davon gehe eine starke motivierende Kraft aus, berichtet Menges – selbst wenn die Mitarbeiter von Problemen der Nutzer ihrer Produkte erführen. Und die US-Bank Wells Fargo bringt Kreditsachbearbeiter mit den Familien zusammen, die einen Kredit bekommen haben.

Steuerberater Hirsch hat in Stralsund die Schattenseiten leistungsabhängiger Vergütung kennengelernt. Er hat Konsequenzen aus seinen schlechten Erfahrungen mit leistungsabhängiger Vergütung gezogen: „Ich fahre jetzt eine andere Strategie, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein: Wertschöpfung durch Wertschätzung“, sagt er.

Hirsch positioniert seine Kanzlei daher als familienfreundliches Unternehmen, hat ihr ein Leitbild gegeben und kümmert sich um Gesundheit und Fitness der Mitarbeiter. Feiern ihre Kinder Geburtstag, dürfen seine Leute eher nach Hause gehen, auch Home-Office ist kein Problem. In jeder der Niederlassungen der Kanzlei gibt es ein kleines Fitnessstudio, und einmal pro Monat kann sich jeder Mitarbeiter auf Unternehmenskosten massieren lassen. Und das liebe Geld? Das Motiv, viel zu verdienen, ist nach Hirschs Einschätzung ohnehin nur bei 10 Prozent der Mitarbeiter der wichtigste Antrieb im Job.

Autor: Henning Kornfeld,

Aus dem SteuerberaterMagazin 10|2016

 

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