Online-Nachricht - Donnerstag, 11.04.2024

Einkommensteuer | Schätzungs­befugnis bei Alt­kassen, deren objek­tive Mani­pulier­bar­keit sich erst nach Jahren des Gebrauchs nach­träglich heraus­stellt; zeitliche Erfas­sung von Gut­scheinen bei Ein­nahmen-Überschuss-Rech­nung (BFH)

Zur Begründung einer Schätzungs­befug­nis dem Grunde und der Höhe nach darf der Tatrichter sich nicht mit der bloßen Benen­nung formeller oder mate­rieller Mängel begnügen, sondern muss diese auch nach dem Maß ihrer Bedeu­tung für den konkreten Einzel­fall gewich­ten (BFH, Urteil v. 28.11.2023 - X R 3/22; veröf­fent­licht am 11.4.2024).

Sachverhalt: Im zugrunde liegenden Fall verwendete ein Restau­rant­betreiber, der einen großen Teil seiner Ein­nahmen in Form von Bargeld erzielte, in den Jahren 2011 bis 2014 eine elektro­nische Registrier­kasse sehr einfacher Bauart, die bereits in den 1980er Jahren ent­wickelt worden war. Das FA sah die Auf­zeich­nungen des Klägers nicht als ord­nungs­gemäß an und nahm eine Voll­schätzung der Erlöse vor. Dies führte zu einer Vervier­fachung der erklärten Umsätze. Das FG beauf­tragte einen Sach­ver­ständi­gen mit der Begut­achtung der Registrier­kasse. Dieser kam zu dem Ergebnis, ein bestimmter interner Zähler der Kasse, der die Lücken­losigkeit der Tages­ausdrucke sicher­stellen solle (Z1-Zähler), könne durch Eingabe ent­sprechender Codes verändert werden. Eine solche Änderung könne aller­dings im Zuge von Repara­turen der Kasse erforder­lich werden. Daraufhin sah das FG die Kasse als objektiv manipu­lierbar –und damit ungeeignet für steuer­liche Zwecke– an und bestätigte die Voll­schätzung des FA im Wesent­lichen. Eine tatsäch­liche Manipu­lation der Kasse hat das FG nicht feststellen können.

Die Richter des BFH hoben die Entscheidung des FG auf und führten u.a. hierzu aus:

  • Eine Vollschätzung unter vollständiger Verwerfung der Gewinn­ermitt­lung des Steuerpflichtigen ist nur zulässig, wenn die festgestellten Mängel gravierend sind. /li>
  • Die Verwendung eines objektiv manipulierbaren Kassen­systems stellt grundsätzlich einen formellen Mangel von hohem Gewicht dar, da in einem solchen Fall systembedingt keine Gewähr für die Vollständigkeit der Ein­nahmen­aufzeich­nungen gegeben ist. /li>
  • Das Gewicht dieses Mangels kann sich in Anwendung des Verhältnis­mäßig­keits- und Vertrauens­schutz­grund­satzes im Einzelfall auf ein geringeres Maß reduzieren. Das gilt insbesondere dann, wenn das Kassensystem zur Zeit seiner Nutzung verbreitet und allgemein akzeptiert war und eine tatsäch­liche Manipu­lation unwahrscheinlich ist. /li>
  • Der in der Verwendung einer solchen objektiv manipulier­baren elektronischen Registrierkasse einfacher Bauart liegende formelle Mangel begründet keine Schätzungsbefugnis, wenn der Steuerpflichtige in überobligatorischer Weise sonstige Aufzeichnungen führt, die eine hinreichende Gewähr für die Vollständigkeit der Einnahmen­erfassung bieten. /li>
  • Bei elektronischen Registrierkassen einfacher Bauart werden Funktionen und Stand der festen Program­mierung (Firmware) durch die Bedie­nungs­anleitung dokumentiert. Änderungen von Einstellungen der Kasse sind vom Steuer­pflichtigen im Zeitpunkt der Vornahme der Änderungen durch Anferti­gung entsprechender Protokolle über die vorge­nommenen Einstellungen zu dokumentieren (BFH, Urteil v. 25.3.2015 X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 26 ff.). /li>
  • Übergibt ein Kunde für eine Leistung des Steuer­pflichtigen einen Rabatt­gutschein, auf den nach den Gut­schein­bedingungen ein Dritter eine Zahlung an den Steuerpflichtigen leisten soll, fließt dem Steuer­pflichtigen bei Gewinnermittlung durch Ein­nahmen-Überschuss-Rech­nung eine Einnahme nicht bereits mit Über­gabe des Gutscheins, sondern erst in dem Zeitpunkt zu, in dem der Dritte die Zahlung an den Steuer­pflichtigen leistet.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 28.11.2023 - X R 3/22; Pressemitteillung Nr. 21 v. 11.4.2024 (GR)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im X. Senat des BFH Prof. Dr. Gregor Nöcker gelangen Sie hier (Login erforderlich).

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