Online-Nachricht - Donnerstag, 09.11.2023

Einkommensteuer | Feststel­lung der Zuord­nung des Arbeit­nehmers im steuer­lichen Reise­kosten­recht (BFH)

Eine (still­schwei­gende) Zuord­nung des Arbeit­nehmers zu einer orts­festen betrieb­lichen Einrich­tung des Arbeit­gebers ergibt sich nicht allein daraus, dass der Arbeit­nehmer die Einrich­tung (aus der maß­geb­lichen Sicht ex ante) nur gelegent­lich zur Aus­übung seiner beruf­lichen Tätig­keit auf­suchen muss, im Übrigen aber seine Arbeits­leistung ganz über­wiegend außer­halb der festen Ein­richtung erbringt (Anschluss an BMF, Schreiben v. 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 9, Beispiel 1 und Ab­wand­lung: BFH, Urteil v. 14.9.2023 - VI R 27/21; veröffent­licht am 9.11.2023).

Hintergrund: Erste Tätigkeits­stätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeit­gebers, eines verbundenen Unter­nehmens (§ 15 des AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeit­nehmer dauerhaft zugeordnet ist.

Sachverhalt: Der Kläger war in den Streitjahren 2015 bis 2017 als Bauleiter bei einem inter­national tätigen Bauunter­nehmen (Y-AG) beschäftigt. Die Y-AG unterhielt eine Nieder­lassung in der X-Straße in Z.

Gemäß seinem Arbeitsvertrag war "Einstellungsort" des Klägers in Z. Ihm stand in den Streitjahren ein Firmenwagen auch zur privaten Nutzung zur Verfügung. In den Lohnsteuer-Anmeldungen und den Lohnabrech­nungen des Klägers berücksichtigte die Y-AG im Rahmen der Nutzung des Firmen­wagens für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeits­stätte die sog. 0,03 %-Regelung. Ausgehend von einem Listenpreis des Fahrzeugs von 24.900 € und einer Entfernung von 29 km zwischen der Wohnung der Kläger und der von der Y-AG in der X-Straße in Z ange­nommenen ersten Tätigkeits­stätte des Klägers setzte diese insoweit einen Sachbezug in Höhe von monatlich 216,63 € an.

In den Einkommen­steuer­erklärungen machte der Kläger u.a. Werbungs­kosten für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeits­stätte geltend. Als Ort der ersten Tätigkeits­stätte gab der Kläger jeweils "Z" an. Er erklärte, er habe die erste Tätigkeits­stätte im Jahr 2015 an 215 Tagen (gemäß berichtigter Anlage N), im Jahr 2016 an 209 Tagen und im Jahr 2017 an 217 Tagen aufge­sucht. Außerdem machte er Verpflegungs­mehrauf­wendungen mit einer Abwesenheit von mehr als acht Stunden an 178 Tagen im Jahr 2015 (gemäß berichtigter Anlage N), an 162 Tagen im Jahr 2016 und an 168 Tagen im Jahr 2017 geltend. Zum Beleg der Verpflegungs­mehrauf­wendungen reichte er Bescheinigungen der Y-AG ein.

Das FA erkannte die Verpflegungsmehraufwendungen für 2015 nicht an. Die Entfernungs­pauschale berücksichtigte es hingegen erklärungsgemäß für 215 Tage. Für 2016 und 2017 setzte es die Verpflegungs­mehrauf­wendungen wie erklärt an, kürzte dafür aber die Entfernungs­pauschale auf 47 Tage (2016) beziehungsweise auf 49 Tage (2017).

Der Kläger macht u.a. geltend, er habe in Z keine erste Tätigkeits­stätte gehabt. Mit seiner Klage hatte er in erster Instanz Erfolg (FG Mecklenburg-Vorpom­mern, Urteil v. 24.11.2021 - 3 K 6/20).

Die Richter des BFH wiesen die Revision des FA zurück:

  • Das FG der ersten Instanz hat ohne Rechtsfehler eine Zuordnung des Klägers zu der Nieder­lassung der Y-AG in Z verneint.
  • Ausgehend hiervon hat es den Arbeitslohn des Klägers zu Recht um die sich aus der Anwendung der 0,03 %-Regelung ergebenden Beträge reduziert und die geltend gemachten Verpflegungs­mehrauf­wendungen als Werbungskosten anerkannt. Ebenfalls zutreffend hat die Vorinstanz vom Ansatz der Entfernungs­pauschale abgesehen.
  • Der vom FG als Zeuge vernommene Vorgesetzte des Klägers (A) hat bekundet, die Y-AG habe den Kläger nicht dem Gebäude der Niederlassung in der X-Straße in Z zugeordnet. Dies ergebe sich nicht aus der Angabe des Einstellungsorts Z im Arbeitsvertrag des Klägers. Die Klausel bedeute lediglich, dass der Kläger einem Gruppenleiter in Z, hier dem Zeugen A, zugeordnet beziehungsweise unterstellt sei. Der Zeuge A hat ferner bekundet, dass Festlegungen über Anwesen­heitszeiten im Büro (in Z) oder an anderen Arbeitsorten arbeits­vertraglich nicht getroffen worden seien. Sonstige Verein­barungen hierzu seien ebenfalls nicht getroffen worden. Das FG hat sich der Aussage des Zeugen A zur fehlenden Zuordnung des Klägers zum Gebäude der Niederlassung in Z im Ergebnis angeschlossen. Diese (Beweis-)Würdigung ist im Streitfall jedenfalls möglich. Sie wird auch durch die weiteren, vom FG festgestellten, Umstände des Falles gestützt.
  • Die Vorinstanz hat insoweit zunächst den Arbeitsvertrag des Klägers mit der Angabe des Einstellungsorts Z in den Blick genommen. Das FG hat diese Klausel dahin gewürdigt, dass sie durch den Charakter der Y-AG als international tätiges Unter­nehmen mit mehreren Nieder­lassungen in der Bundesrepublik Deutschland veranlasst sei. Der Einstellungsort Z sei daher (nur) dahin zu verstehen, dass der Kläger im Bereich der Niederlassung in Z eingesetzt werden solle. Die Zuordnung zu einer (bestimmten) ortsfesten Einrichtung sei damit aber nicht verbunden gewesen. Diese Auslegung des Anstellungs­vertrags ist ebenfalls möglich; sie wird letztlich auch durch die Aussage des Zeugen A bestätigt und ist damit für den Senat im Ergebnis gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend.
  • Darüber hinaus ist die rechtliche Würdigung des FG, in der Zuordnung des Klägers zum Bezirk der Nieder­lassung der Y-AG in Z nicht auch eine Zuordnung zu dem Gebäude der Niederlassung in der X-Straße zu erblicken, von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Insbesondere waren die Tätigkeiten, die der Kläger der Y-AG als Bauleiter schuldete und die das FG den Zeugen­aussagen sowie der "Positions­beschreibung Bauleiter" der Y-AG entnommen hat, so angelegt, dass sie jedenfalls ganz überwiegend außerhalb des Gebäudes der Niederlassung in Z zu erbringen waren.
  • Bei dieser Sachlage kann nicht ohne weitere Anhaltspunkte angenommen werden, eine Zuordnung des Klägers zum Bezirk der Nieder­lassung in Z bedeute auch gleichzeitig eine Zuordnung zu dem Niederlassungsgebäude in Z. Der Kläger war der Niederlassung der Y-AG in Z vielmehr lediglich aus organisatorischen Gründen zugeordnet, ohne dass damit auch eine Festlegung des Tätigkeitsorts verbunden war. Dies stellt keine Zuordnung des Arbeit­nehmers im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG dar (ebenso BMF, Schreiben v. 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 7).
  • Ferner hat das FG eine Zuordnung des Klägers zu dem Gebäude in der X-Straße durch schlüssiges Verhalten ohne Rechtsfehler verneint. Haben die Arbeitsvertragsparteien - wie hier - davon abgesehen, den Steuerpflichtigen einer betrieblichen Einrichtung durch (ausdrückliche schriftliche oder mündliche) Festlegungen, Absprachen oder Weisungen zuzuordnen, ergibt sich eine Zuordnung durch schlüssiges Verhalten entgegen der Ansicht des FA nicht allein aufgrund der Tatsache, dass der Steuer­pflichtige einzelne, zu seinem Berufsbild gehörende Tätigkeiten in einer bestimmten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers erbringt oder erbringen muss.
  • Dies gilt jedenfalls in Fällen wie dem Streitfall, der dadurch gekennzeichnet ist, dass der Kläger die betreffende ortsfeste Einrichtung - hier das Gebäude der Niederlassung in Z - (aus der maßgeblichen Sicht ex ante) nur gelegentlich aufsuchen muss, um anfallende Büroarbeiten zu erledigen oder an Besprechungen teilzunehmen, im Übrigen aber seine Arbeits­leistung ganz überwiegend außerhalb der festen Einrichtung erbringt (ebenso BMF, Schreiben v. 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 9, Beispiel 1 und Abwandlung).

 
Quelle: BFH, Urteil v. 14.9.2023 - VI R 27/21; NWB Datenbank (il)

 
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