Online-Nachricht - Donnerstag, 02.11.2023
Verfahrensrecht | Vertrauensschutz bei rechtswidrigen Verwaltungsanweisungen (BFH)
§ 176 Abs. 2 AO gewährt keinen Änderungsschutz, wenn der BFH eine dort bezeichnete Verwaltungsvorschrift erst nach dem Erlass des angefochtenen Änderungsbescheids als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet (BFH, Urteil v. 24.8.2023 - V R 49/20; veröffentlicht am 2.11.2023).
Hintergrund: Nach § 176 Abs. 2 AO darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.
Sachverhalt: Die Beteiligten streiten um die zeitlichen Anforderungen des § 176 Abs. 2 AO.
Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:
- § 176 Abs. 2 AO gewährt keinen Änderungsschutz, wenn der BFH eine dort bezeichnete Verwaltungsvorschrift erst nach dem Erlass des angefochtenen Änderungsbescheids als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet.
- Der BFH hat zu § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO bereits ausdrücklich entschieden, dass aus dem Wortlaut der Regelung ("Bei der Aufhebung oder Änderung ...") hervorgeht, dass die Vorschrift nur dann eingreift, wenn sich die Rechtsprechung in der Zeit vor dem Erlass des Änderungsbescheids geändert hat, dass sie aber nicht den Fall erfasst, dass zunächst ein Änderungsbescheid ergeht und erst im Anschluss hieran eine Rechtsprechungsänderung erfolgt, durch die der Änderungsbescheid materiell-rechtlich legitimiert wird, und dass im Ergebnis dasselbe im Hinblick auf § 176 Abs. 2 AO gilt, da die dort vorausgesetzte Bezeichnung ebenfalls vor dem Erlass des Änderungsbescheids erfolgen muss (BFH, Urteil v. 20.12.2000 - I R 50/95, BStBl II 2001, 409, unter II.5.a bb und II.5.b).
- Etwas anderes folgt nicht aus dem BFH-Urteil v. 28.5.2002 - IX R 86/00, BStBl II 2002, 840, in dem für den BFH gleichfalls maßgeblich war, dass vor Erlass des Änderungsbescheids ein im Wesentlichen gleicher Sachverhalt anders als bisher entschieden wurde (unter II.1.c und d).
- Einer im Schrifttum vertretenen Gegenauffassung (v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 176 AO Rz 116), wonach es auf den Zeitpunkt der letzten Gerichtsentscheidung über den Änderungsbescheid ankommen soll, schließt sich der Senat im Interesse der Kontinuität der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht an.
- Abweichendes folgt auch nicht aus dem Unionsrecht. Insbesondere ist nicht von einem Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz auszugehen, nach dem die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte weder praktisch unmöglich gemacht noch übermäßig erschwert werden dürfen (vgl. z.B. EuGH, Urteil v. 15.12.2011 - C-427/10 „Banca Antoniana Popolare Veneta“, EU:C:2011:844, Rz 24).
Quelle: BFH, Urteil v. 24.8.2023 - V R 49/20; NWB Datenbank (il)
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