Online-Nachricht - Donnerstag, 31.08.2023

Einkommensteuer | Berücksichtigung von Vorsorge­auf­wendun­gen im Zusam­men­hang mit steuer­freien Ein­nahmen aus einer frei­beruf­lichen Tätig­keit in den Nieder­landen (BFH)

Die Sonderregelung zur Berück­sichti­gung von Vorsorge­auf­wendun­gen in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a des Ein­kommen­steuer­gesetzes gilt aufgrund der Nieder­lassungs­freiheit (Art. 49 des Vertrags über die Arbeits­weise der Euro­päischen Union) auch für Vor­sorge­auf­wendun­gen, die in unmittel­barem wirtschaft­lichen Zusammen­hang mit Einnahmen aus einer in den Nieder­landen ausge­übten freiberuf­lichen Tätigkeit stehen (BFH, Urteil v. 24.5.2023 - X R 28/21; veröffentlicht am 31.8.2023).

Sachverhalt: Streitig ist, ob Beiträge einer in den Niederlanden selbständig tätigen Steuerpflichtigen zur dortigen Renten-, Kranken- und Pflege­versicherung (einschließlich einer einkommens­unab­hängigen "Kopfpauschale" zur Kranken­versicherung) dem inländischen Sonder­ausgaben­abzugs­verbot gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG unterliegen oder ob die infolge der "Bechtel"-Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil v. 22.6.2017 - C 20/16, s. hierzu Schütz, IWB 16/2017 S. 624) inzwischen eingefügte Ausnahme von diesem Verbot nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a bis c EStG anzuwenden ist: Die Klägerwohnen in Deutschland. Im Streitjahr 2018 wurden sie zur Einkommen­steuer zusammen­veranlagt. Der Kläger war im Inland nichtselbständig tätig und bezog Arbeitslohn in Höhe von rund 33.000 €. Die Klägerin arbeitete als selbständige Hebamme in den Niederlanden. Aus dieser Tätigkeit erzielte sie einen nach deutschem Recht ermittelten Gewinn von rund 30.000 €. In den Niederlanden hatte sie neben einem einkommens­unabhängigen gesetzlichen Basisbeitrag zur Kranken­versicherung (sog. Kopfpauschale) in Höhe von 1.352 € weitere einkommensabhängige Vorsorge­aufwendungen (Renten- und Pflegeversicherungsbeiträge sowie Beiträge zur Zusatz­versicherung zur Kranken­versicherung) geleistet.

Nach den Feststellungen des FG unterlag der von der Klägerin erzielte Gewinn in den Niederlanden nach Berücksichtigung von Grundfrei­beträgen und der wegen der Lebens- und Einkommenssituation der Klägerin insgesamt höheren "Heffingskorting" (Steuerabzug für die persönlichen Verhältnisse) in Höhe von 7.460 € keiner Einkommen­steuer­belastung.

Das FA berücksichtiget den Gewinn der Klägerin bei der Ermittlung der Einkünfte nicht, erfasste ihn aber im Rahmen des Progressions­vorbehalts. Die Beiträge zur niederländischen Sozialversicherung blieben sowohl bei der Ermittlung des Einkommens als auch bei der Höhe des Progressions­vorbehalts unberücksichtigt.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz zum Teil Erfolg. Das FG vertrat die Ansicht, dass zumindest die einkommens­unabhängige Kopfpauschale als Sonder­ausgaben berücksichtigt werden müsse (FG Düsseldorf, Urteil v. 21.10.2021 - 9 K 1517/20 E). Es sei europarechtloch geboten, § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG) bei einem unmittelbaren Zusammenhang der Vorsorge­aufwendungen mit Einnahmen aus selbständiger Arbeit jedenfalls dann sinngemäß anzuwenden, wenn - wie im Streitfall - Selbständige ebenso wie Nicht­selbständige Pflichtbeiträge in ein Sozial­versicherungs­system zu leisten hätten.

Die Richter des BFH hoben die Vorentscheidung auf und wiesen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück:

  • Ob der Abzug der streitigen Vorsorge­aufwendungen nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ausgeschlossen ist, lässt sich anhand der Feststellungen des FG nicht beurteilen.
  • Im Streitfall kann schon nicht festgestellt werden, ob es sich bei den von der Klägerin in den Niederlanden geleisteten streitigen Beiträgen tatsächlich um Vorsorge­aufwendungen im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG handelt und in welcher Höhe gegebenenfalls entsprechende Beiträge geleistet worden sind.
  • Auch wenn man davon ausgeht, dass die streitigen Vorsorge­aufwendungen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammen­hang mit steuerfreien Einnahmen der Klägerin stehen, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Vorsorge­aufwendungen gleichwohl gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG als Sonderausgaben zu berücksichtigen sind.
  • Die Sonderregelung zur Berücksichtigung von Vorsorge­aufwendungen in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a EStG gilt aufgrund der Nieder­lassungs­freiheit (Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) auch für Vorsorge­aufwendungen, die in unmittelbarem wirtschaft­lichen Zusammenhang mit Einnahmen aus einer in den Niederlanden ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit stehen.
  • Das zur Ermittlung von Amts wegen verpflichtete FG muss auch Fragen nachgehen, über welche die Beteiligten nicht streiten, wenn insoweit Zweifel bestehen.
  • Es ist Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. Wie das FG das ausländische Recht ermittelt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Feststellungen zu Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts sind für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend. Fehlen jedoch die erforderlichen Feststellungen zum maßgeblichen ausländischen Recht, liegt ein materieller Mangel vor.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 24.5.2023 - X R 28/21; NWB Datenbank (il)

 
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