Online-Nachricht - Donnerstag, 24.08.2023
Einkommensteuer | Berücksichtigung des Verlusts aus einer stehen gelassenen Gesellschafterbürgschaft (BFH)
Bei der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht im Rahmen des § 20 EStG ist zwar im Grundsatz jede Kapitalanlage getrennt zu beurteilen. Allerdings bedarf es im Fall einer stehen gelassenen Gesellschafterbürgschaft einer "Gesamtbetrachtung" von Beteiligung und Bürgschaft/Regressforderung. Danach sind die gesamten "aus der Beteiligung" erzielten Einkünfte maßgebend, d.h. sowohl Wertsteigerungen als auch Ausschüttungen (§ 17 Abs. 1, 4, § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG). Von einer fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht ist auch ohne Vereinbarung einer Bürgschaftsprovision nur dann auszugehen, wenn die Erzielung von positiven Einkünften insgesamt ausscheidet (BFH, Urteil v. 20.6.2023 - IX R 2/22; veröffentlicht am 24.8.2023).
Hintergrund: Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Dabei gilt als Veräußerung im Sinne des Satzes 1 auch die Einlösung, Rückzahlung, Abtretung oder verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG).
Sachverhalt: Streitig ist, ob der Ausfall von Bürgschaftsregressforderungen nach § 17 Abs. 1, 4 oder nach § 20 Abs. 2 EStG steuerbar ist: Der Kläger war mit 50 % am Stammkapital einer GmbH beteiligt, die er im Januar 2009 mit seinem Bruder gegründet hatte. In den ersten Jahren nach Gesellschaftsgründung wurden verschiedene Bankdarlehen der GmbH durch selbstschuldnerische Bürgschaften des Klägers besichert. Nachdem im Dezember 2012 über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, trafen der Kläger und sein Bruder mit den Gläubigern der GmbH diverse Zahlungs- und Verzichtsvereinbarungen. Darin verpflichteten sie sich jeweils gesamtschuldnerisch zur Zahlung von Teilbeträgen, wohingegen die Gläubiger auf den Einzug der Restforderung verzichteten.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2014 erklärte der Kläger nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens einen Auflösungsverlust. Hiervon berücksichtigte das FA nur einen Teil. Sämtliche Bürgschaftsversprechen seien vor der Krise abgegeben und bei Kriseneintritt stehen gelassen worden. Die späteren Zahlungen seien infolge der Wertlosigkeit etwaiger Rückgriffsansprüche bei Kriseneintritt wertmäßig nicht mehr in die Verlustberechnung einzustellen. Das FG der ersten Instanz gab der hiergegen gerichteten Klage teilweise statt und berücksichtigte im Wesentlichen einen Verlust des Klägers nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG (FG Düsseldorf, Urteil v. 11.11.2021 - 14 K 2330/19 E).
Die Richter des BFH wiesen die hiergegen gerichtete Revision des FA zurück:
- Der Forderungsausfall fällt unter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG. Dies gilt für den Ausfall von Gesellschafterdarlehensforderungen bzw. Bürgschaftsregressforderungen des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft gleichermaßen (vgl. BFH, Urteil v. 9.7.2019 - X R 9/17, BStBl II 2021, 418).
- Zudem hat das FG die erforderliche Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers zu Recht bejaht.
- Bei der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht im Rahmen des § 20 EStG ist zwar im Grundsatz jede Kapitalanlage getrennt zu beurteilen. Allerdings bedarf es in Fällen wie dem vorliegenden einer "Gesamtbetrachtung" von Beteiligung und Bürgschaft/Regressforderung (BMF, Schreiben v. 7.6.2022, BStBl I 2022, 897, Rz 22; Jachmann-Michel, BB 2020, 727, 734; Krumm, FR 2020, 197, 206; Werth, FR 2020, 530, 536; Levedag, GmbHR 2021, 637, 639; FG München, Urteil v. 17.2.2022 - 11 K 2371/18, EFG 2022, 1373, Revision anhängig unter VIII R 8/22): Danach sind die gesamten "aus der Beteiligung" erzielten Einkünfte maßgebend, das heißt sowohl Wertsteigerungen als auch Ausschüttungen (§ 17 Abs. 1, 4; § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG).
- Von einer fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht ist nur dann auszugehen, wenn die Erzielung von positiven Einkünften insgesamt ausscheidet. Dies ist hier nicht der Fall.
- Findet der Ausfall der Regressforderung aus einer stehen gelassenen Bürgschaft im Rahmen des § 17 Abs. 1, 4 EStG (Übergangsregelung nach Maßgabe des Senatsurteils v. 11.7.2017 - IX R 36/15, BStBl II 2019, 208) keine Berücksichtigung, weil der gemeine Wert der Forderung im Zeitpunkt des Stehenlassens mit 0 € zu bewerten ist, steht § 20 Abs. 8 EStG einer Berücksichtigung der Forderung mit ihrem nicht werthaltigen Teil (Nennwert) nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG nicht entgegen.
- Verbürgen sich mehrere Gesellschafter für dieselbe Gesellschaftsschuld, kann der über seinen Anteil hinaus in Anspruch genommene Bürge den Ausfall seiner gegen die Gesellschaft gerichteten Regressforderung nur dann in voller Höhe nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG geltend machen, wenn feststeht, dass die Ausgleichsforderung gegen den Mitbürgen nach § 426 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht realisierbar und damit wertlos ist.
Quelle: BFH, Urteil v. 20.6.2023 - IX R 2/22; NWB Datenbank (il)
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