Online-Nachricht - Donnerstag, 06.07.2023

Insolvenzrecht | Einkommen­steuer als Masse­verbind­lich­keit bei Verwer­tung durch abson­derungs­berech­tigten Gläubiger (BFH)

Überlässt der Insolvenz­verwalter gemäß § 170 Abs. 2 InsO dem abson­derungs­berech­tigten Gläubiger die der Masse zuge­hörigen sicherungs­über­eigneten beweg­lichen Wirtschafts­güter des Betriebs­vermö­gens zur Verwer­tung und entsteht nach­folgend durch deren Verkauf – infolge Aufdeckung von stillen Reserven – ein einkommen­steuer­pflichtiger Gewinn, ist die darauf entfallende Einkommen­steuer eine "in anderer Weise" durch die Verwertung der Insolvenz­masse begründete Masse­verbind­lich­keit (BFH, Urteil v. 14.12.2022 - X R 9/20; veröffent­licht am 6.7.2023).

Hintergrund: Masseverbindlich­keiten sind u.a. die Verbind­lichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenz­verwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenz­masse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenz­verfahrens zu gehören, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO).

Sachverhalt: Die Beteiligten streiten um die Qualifikation der Einkommen­steuer als Masse­verbind­lichkeit: Im November 2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Einzelunternehmers I eröffnet. Der Kläger wurde zum Insolvenz­verwalter bestellt. Er überließ der Kreissparkasse die Verwertung der ihr sicherungs­übereigneten beweglichen Wirtschaftsgüter des Betriebs­vermögens des I und bat darum, den Verwertungserlös ihm gegenüber abzurechnen und den Umsatzsteuer­anteil sowie den Feststellungs­kostenbeitrag auszukehren.

Im Rahmen der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen des Streitjahres 2013 ermittelte das FA aus dem Verkauf des beweglichen Betriebs­vermögens einen Gewinn und kündigte an, ihn der Masse zuzurechnen. Es erließ zwei Bescheide, mit welchen es unter Berücksichtigung von Einkünften des I aus Gewerbe­betrieb zum einen die (anteilige) Einkommen­steuer betreffend die Masse gegenüber dem Kläger und zum anderen die (anteilige) Einkommen­steuer betreffend das insolvenzfreie Vermögen gegenüber I sowie seiner Ehefrau (E) durch Bekanntgabe gegenüber I festsetzte. Dabei teilte das FA den Gesamtbetrag der Einkommen­steuer im Verhältnis der Masseeinkünfte zu den Einkünften im insolvenz­freien Vermögen auf.

Nach Abgabe der Steuererklärung änderte das FA die Einkommen­steuer­bescheide für 2013 aufgrund weiterer, nachträglich bekannt­gewordener Verkäufe des sicherungsübereigneten Betriebsvermögens dahingehend ab, dass es nunmehr Einkünfte des I aus Gewerbebetrieb in Höhe von 63.657 € zugrunde legte, wodurch sich eine entsprechende Neuaufteilung der Gesamt­steuerschuld und eine geänderte Festsetzung der anteiligen Einkommen­steuer in den an den Kläger (als Insolvenz­verwalter) sowie an I und E gerichteten Einkommen­steuer­bescheiden ergab.

Das FG der ersten Instanz wies die hiergegen gerichtete Klage ab (FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 3.4.2020 - 5 K 1193/17). Die vom Kläger erklärte Überlassung des Sicherungsguts zur Verwertung durch die absonderungs­berechtigte Kreissparkasse nach § 170 Abs. 2 InsO stelle eine Maßnahme des Insolvenz­verwalters i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar. Darin liege keine echte Freigabe im Sinne einer Entlassung der Gegenstände aus dem Insolvenz­beschlag, da es hierfür einer entsprechenden Erklärung des Klägers gegenüber I bedurft hätte.

Der Kläger vertritt dagegen die Auffassung, im Hinblick auf seine Haftungsrisiken (§ 60 InsO) müsse für den Insolvenz­verwalter stets eine ‑ die Masse schützende ‑ Handlungsalternative bestehen. Vorliegend habe außer der Eigenverwertung oder der Überlassung der Verwertung an den Sicherungs­gläubiger gemäß § 170 Abs. 2 InsO für ihn keine andere Möglichkeit bestanden, die in Rede stehenden Wirtschaftsgüter "loszuwerden". Eine Freigabe der Wirtschaftsgüter aus dem Insolvenz­beschlag sei nicht möglich gewesen.

Die Richter des BFH wiesen die Revision des Klägers zurück:

  • Überlässt der Insolvenzverwalter gemäß § 170 Abs. 2 InsO dem absonderungs­berechtigten Gläubiger die der Masse zugehörigen sicherungs­übereigneten beweglichen Wirtschafts­güter des Betriebs­vermögens zur Verwertung und entsteht nachfolgend durch deren Verkauf ‑ infolge Aufdeckung von stillen Reserven‑‑ ein einkommen­steuerpflichtiger Gewinn, ist die darauf entfallende Einkommensteuer eine "in anderer Weise" durch die Verwertung der Insolvenz­masse begründete Masseverbindlichkeit.
  • Durch die Überlassung (nur) zur Verwertung erfolgt keine echte Freigabe und damit auch keine Entlassung des Gegenstandes aus dem Insolvenz­beschlag.
  • Zum Klageverfahren des Insolvenzverwalters wegen der Qualifizierung von Einkommensteuer als Masse­verbindlichkeit ist der Insolvenz­schuldner nicht gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig beizuladen.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 14.12.2022 - X R 9/20; NWB Datenbank (il)

 
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