Online-Nachricht - Donnerstag, 01.06.2023

Einkommensteuer | Weiträumiges Tätigkeits­gebiet - vertraglich verein­barte Arbeits­leistung auf einer fest­gelegten Fläche (BFH)

Ein Tätigwerden in einem weiträumigen Tätigkeits­gebiet liegt nur vor, wenn der Arbeit­nehmer die vertraglich verein­barte Arbeitsl­eistung auf einer fest­gelegten Fläche und nicht inner­halb einer orts­festen betrieb­lichen Einrichtung des Arbeit­gebers, eines verbundenen Unter­nehmens (§ 15 AktG) oder bei einem vom Arbeit­geber bestimmten Dritten auszuüben hat (BFH, Urteil v. 15.2.2023 - VI R 4/21; veröffent­licht am 1.6.2023).

Hintergrund: Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeit­nehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG, ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeit­nehmer die erste Tätigkeits­stätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungs­pauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeits­stätte von 0,30 € anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG).

Hat ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte und hat er nach den dienst- oder arbeits­rechtlichen Festlegungen sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeits­gebiet typischerweise arbeits­täglich aufzusuchen, gilt die vorgenannte Regelung über die Entfernungs­pauschale für die Fahrten von der Wohnung zu diesem Ort oder dem zur Wohnung nächst­gelegenen Zugang zum Tätigkeits­gebiet entsprechend (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG). Für die Fahrten innerhalb des weiträumigen Tätigkeitsgebiets gelten § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Sätze 1 und 2 EStG entsprechend, nach denen die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten oder die pauschalen Kilometersätze angesetzt werden können, die für das jeweils benutzte Beförderungs­mittel (Fahrzeug) als höchste Wegstrecken­entschädigung nach dem Bundes­reisekosten­gesetz festgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 4 EStG).

Sachverhalt: Der Kläger ist Hafenarbeiter. Er war ausschließlich bei einem Unternehmen angestellt, das u.a. auch die Arbeit­nehmer­überlassung auf dem Gebiet des Hamburger Hafens betrieb. Im Rahmen dieser Arbeit­nehmer­überlassung wurde der Kläger bei verschiedenen Hafeneinzel­betrieben tätig. Gemäß seinem Arbeitsvertrag war er verpflichtet, sich "nach Bedarf gegebenenfalls zu entsprechenden Arbeiten in einer anderen Abteilung, Betriebsstätte oder in einem Beteiligungs­unternehmen des Arbeitgebers einsetzen zu lassen". Außerdem gab der Kläger "sein unwider­rufliches Einverständnis gem. Absatz 4 Ziff. 2 der Richtlinien zu § 7 der Satzung für den Gesamt­hafenbetrieb Hamburg, sich auf Weisung des Arbeit­gebers in anderen Hafeneinzel­betrieben einsetzen zu lassen".

Im Streitjahr 2015 wurde der Kläger von seinem Arbeitgeber an 164 Arbeitstagen an vier verschiedenen Orten innerhalb des Gebiets des Hamburger Hafens eingesetzt (63 Tage am Ort Z, 30 Tage am Ort Y, 51 Tage am Ort X und 20 Tage bei der B KG (Ort W)).

Für die Fahrten zwischen Wohnung und Hafenzufahrt begehrt der Kläger anstatt der Entfernungs­pauschale den Ansatz der tatsächlichen Kosten. Das FG der ersten Instanz wies seine Klage ab (FG Niedersachsen, Urteil v. 3.2.2021 - 4 K 11006/17, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 18.3.2021). Der Kläger habe "typischerweise arbeitstäglich" das Gebiet des Hamburger Hafens und damit "dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet" aufsuchen müssen, sodass die Fahrten zwischen Wohnung und Hafenzugang nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a EStG - trotz Fehlens einer ersten Tätigkeitsstätte - nur mit der Entfernungs­pauschale berücksichtigt werden könnten.

Die Richter des BFH dagegen gaben der Klage statt:

  • Das FG hat die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten von seiner Wohnung bis zu dem von ihm angefahrenen Hafenzugang zu Unrecht nur nach Maßgabe der Entfernungs­pauschale und nicht in tatsächlicher Höhe zum Werbungs­kosten­abzug bei dessen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugelassen.
  • Ein Tätigwerden in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a EStG liegt nur vor, wenn der Arbeit­nehmer die vertraglich vereinbarte Arbeits­leistung auf einer festgelegten Fläche und nicht innerhalb einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Dritten auszuüben hat (ebenso BMF, Schreiben v. 25.11.2020 - IV C 5 S 2353/19/10011:006, BStBl I 2020, 1228, Rz 42).
  • Arbeitnehmer, die ihrer eigentlichen Tätigkeit in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung nachgehen, werden von der Vorschrift folglich nicht erfasst, auch wenn ihnen ein bestimmtes Tätigkeits­gebiet zugewiesen ist und sie dort in verschiedenen ortsfesten betrieblichen Einrichtungen tätig werden (z.B. HHR/Kreft und Bergkemper, § 9 EStG Rz 485; BMF, Schreiben v. 25.11.2020 - IV C 5 S 2353/19/10011:006, BStBl I 2020, 1228, Rz 42).
  • Nach diesen Maßgaben hat die Vorentscheidung keinen Bestand: Denn nach den den Senat bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) des FG ist der Kläger (schon) nicht auf einer festgelegten Fläche, sondern aufgrund (tagesaktueller) Weisungen in ortsfesten betrieblichen Einrichtungen von (vier) Kunden seines Arbeit­gebers tätig geworden.
  • Darauf, dass sich alle Einsatzorte des Klägers auf dem Gebiet des Hamburger Hafens befinden, kommt es insoweit nicht an.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 15.2.2023 - VI R 4/21; NWB Datenbank (il)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im VI. Senat des BFH Dr. Stephan Geserich gelangen Sie hier (Login erforderlich).

Cookies erforderlich

Um fortfahren zu können, müssen Sie die dafür zwingend erforderlichen Cookies zulassen. Diese gewährleisten den vollen Funktionsumfang unserer Seite, ermöglichen die Personalisierung von Inhalten und können für die Ausspielung von Werbung oder zu Analysezwecken genutzt werden. Lesen Sie auch unsere Datenschutzerklärung.