Online-Nachricht - Donnerstag, 25.05.2023
Einkommensteuer | Einheitliche Entschädigung bei mehreren Teilleistungen aufgrund Arbeitsplatzverlusts (BFH)
Eine einheitliche, in unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen ausgezahlte Entschädigung kann vorliegen, wenn alle Teilleistungen auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzuführen sind. Dies gilt auch, soweit eine Teilentschädigung (sog. Startprämie) dafür geleistet wird, dass der Arbeitnehmer sein Beschäftigungs- und Qualifizierungsverhältnis bei einer Transfergesellschaft vorzeitig kündigt, weil er bei einem anderen Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis beginnt (BFH, Urteil v. 6.12.2021 - IX R 10/21; veröffentlicht am 25.5.2023).
Hintergrund: Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen in Betracht, die gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden.
Sachverhalt: Die Beteiligten streiten um die Besteuerung einer Abfindung: Der Kläger war bei seinem Arbeitgeber, der X GmbH (X), über 20 Jahre beschäftigt. Infolge von Umstrukturierungs- und Arbeitsplatzabbaumaßnahmen schlossen der Kläger und X unter Beteiligung einer Transfergesellschaft einen Vertrag. Darin wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers mit X aufgehoben. Gleichzeitig schloss die Transfergesellschaft mit dem Kläger einen befristeten Anstellungsvertrag.
Dem Kläger wurde als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes bei X eine Abfindung in Höhe von 115.700 € brutto zugesagt. Für den Fall, dass der Kläger die Stelle bei der Transfergesellschaft A wegen eines anderen Arbeitsplatzes nicht antreten sollte oder aber das Arbeitsverhältnis dort vorzeitig beendet, war zwischen den Parteien eine gestaffelte Zusatzabfindung vereinbart ("Startprämie"). Sollte der Kläger nach Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses in der Transfergesellschaft A eine (weitere) befristete Beschäftigung in einer weiteren Transfergesellschaft (Transfergesellschaft B) ausschlagen, sollte er eine Zusatzabfindung in Höhe von 40.000 € ("Zusatzabfindung") erhalten.
Der Kläger war einen Monat bei der Transfergesellschaft A beschäftigt. Er trat ab xx.xx.2015 eine neue Arbeitsstelle an. Er erhielt die Abfindung i.H.v. 115.700 € brutto im Jahr 2015 sowie einen weiteren Betrag i.H. von 59.250 € brutto im Jahr 2016 für seinen Verzicht auf Weiterbeschäftigung in den Transfergesellschaften (19.250 € für das vorzeitige Ausscheiden aus der Transfergesellschaft A ("Startprämie) sowie 40.000 € aufgrund des Verzichts auf Beschäftigung in der Transfergesellschaft B ("Zusatzabfindung").
Sämtliche Beträge unterwarf das FA in den jeweiligen Einkommensteuererklärungen der tariflichen Einkommensteuer. Die hiergegen gerichtete Klage, mit der der Kläger eine ermäßigte Besteuerung der Abfindungszahlungen nach § 34 EStG begehrt, hatte in allen Instanzen keinen Erfolg (Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, Urteil v. 22.2.2021 - 8 K 3125/18).
Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:
- Das FG der ersten Instanz hat zu Recht entschieden, dass die dem Kläger in den Streitjahren zugeflossenen Abfindungszahlungen nicht nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG ermäßigt zu besteuern sind.
- Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG werden in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur bejaht, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (BFH, Urteil v. 9.10.2008 - IX R 85/07, BFH/NV 2009, 558).
- Keine Zusammenballung in diesem Sinne liegt nach ständiger Rechtsprechung typischerweise vor, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehreren verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt wird, auch wenn die Zahlungen jeweils mit anderen laufenden Einkünften zusammentreffen und sich ein Progressionsnachteil ergibt (BFH, Urteil v. 8.4.2014 - IX R 28/13, BFH/NV 2014, 1514, m.w.N.).
- Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hält der BFH in solchen Fällen für geboten, in denen - neben der Hauptentschädigungsleistung - in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden (vgl. dazu BFH, Urteil v. 14.8.2001 - XI R 22/00, BStBl II 2002, 180 sowie BFH, Urteil v. 24.1.2002 - XI R 43/99, BStBl II 2004, 442).
- Außerdem ist § 34 Abs. 1 EStG nach seinem Zweck trotz Zuflusses einer einheitlichen Abfindung in zwei verschiedenen Veranlagungszeiträumenauch dann anwendbar, wenn der Steuerpflichtige die ganz überwiegende Hauptleistung in einem Betrag und daneben nur eine geringfügige Teilleistung in einem anderen Veranlagungszeitraum erhält.
- Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall von einer einheitlichen, nicht gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuernden Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes des Klägers auszugehen.
- Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die drei Entschädigungsleistungen als Ersatz für dasselbe Schadensereignis, den Verlust des Arbeitsplatzes des Klägers, gezahlt worden sind. Da diese in zwei Veranlagungszeiträumen ausbezahlt wurden, liegt keine Zusammenballung von Einkünften vor.
- Vertraglich war zwischen den Parteien eine einheitliche Entschädigung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers vereinbart. Unerheblich ist, dass die Zahlungen in unterschiedlichen Teilen des Vertrages geregelt wurden. Für alle vertraglichen Ansprüche war der strukturbedingte Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers maßgebend, was in der Vorbemerkung ausdrücklich ausgeführt wurde.
- Ohne Erfolg wenden die Kläger ein, das vorzeitige Ausscheiden aus der Transfergesellschaft A stelle ein weiteres - isoliert zu betrachtendes - Schadensereignis dar, welches das ursprüngliche Schadensereignis strukturbedingter Wegfall des (ursprünglichen) Arbeitsplatzes - überlagert habe. Denn alle vertraglichen Modalitäten wurden gleichzeitig und unter Beteiligung aller Vertragspartner, der damaligen Arbeitgeberin, dem Kläger sowie der Transfergesellschaft, verbindlich geregelt. Die verschiedenen vertraglichen Bestandteile sind im Streitfall untrennbar verbunden, aufeinander abgestimmt und können nicht isoliert voneinander betrachtet werden.
- Dementsprechend ist auch die sog. Startprämie i.H.v. 19.250 € als Teil einer einheitlich zu beurteilenden Entschädigung anzusehen (gleicher Ansicht: Hessischen FG, Urteil v. 31.5.2021 10 K 1597/20, Rz 30, 33 f., rechtskräftig). Sie ist ebenfalls als Entschädigung für ein- und dasselbe Schadensereignis - den strukturbedingten Wegfall des ursprünglichen Arbeitsplatzes anzusehen. Auch wenn sie nur infolge der Kündigung des Vertragsverhältnisses mit der Transfergesellschaft gezahlt wurde, stellt sie doch zusammen mit der "Zusatzabfindung" den letzten Akt der sozial verträglichen Abwicklung des Arbeitsplatzes des Klägers dar. Die Startprämie ist daher auch nicht isoliert als Entschädigung für die vorzeitige Beendigung der Tätigkeit in der Transfergesellschaft unter § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG zu beurteilen (anderer Ansicht: Hessisches FG, Urteil v. 10.6.2015 - 3 K 1960/13).
- Eine isolierte Betrachtung der verschiedenen Zahlungen würde daher weder ihrer arbeitsrechtlichen noch ihrer wirtschaftlichen Zielsetzung gerecht. Vielmehr ist das Angebot der langjährigen Arbeitgeberin an den Kläger, anschließende Arbeitsverhältnisse mit der Transfergesellschaft A und der Transfergesellschaft B abzuschließen, lediglich als Mittel zum Zweck konzipiert worden, dem Mitarbeiter im Zusammenhang mit dem Verlust des Arbeitsverhältnisses Zeiten der Arbeitslosigkeit zu ersparen, die Übergangszeit in ein neues Arbeitsverhältnis möglichst effektiv zu gestalten und es ihm zu ermöglichen, sich aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis auf dem Arbeitsmarkt zu bewerben.
Quelle: BFH, Urteil v. 6.12.2021 - IX R 10/21; NWB Datenbank (il)
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