Online-Nachricht - Donnerstag, 23.03.2023
Umsatzsteuer | Organschaft - Steuerschuldner und finanzielle Eingliederung (BFH)
Die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die Umsätze der Organschaft ist unionsrechtskonform. Eine finanzielle Eingliederung i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG liegt auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt (Änderung der Rechtsprechung: BFH, Urteil v. 18.1.2023 - XI R 29/22 (XI R 16/18); veröffentlicht am 23.3.2023).
Sachverhalt und Verfahrensgang: Streitig ist, ob im Jahr Streitjahr 2005 eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft zwischen der A, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, als Organträgerin und der Klägerin, einer GmbH, als Organgesellschaft bestand. Gesellschafter der Klägerin waren A zu 51 % und C, ein eingetragener Verein, zu 49 %. Alleiniger Geschäftsführer der Klägerin war im Streitjahr Herr E, der zugleich Alleingeschäftsführer der A und geschäftsführender Vorstand des C war.
Das FA hatte das Vorliegen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft verneint, da die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung nicht erfüllt seien. Zwar sei A mit 51 % mehrheitlich am Gesellschaftskapital der Klägerin beteiligt gewesen, habe aber aufgrund der Regelungen im Gesellschaftsvertrag nicht über eine Stimmrechtsmehrheit verfügt und sei damit nicht in der Lage gewesen, Beschlüsse bei der Klägerin durchzusetzen.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Das FG berief sich auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft keine notwendige Voraussetzung für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe sei. Die Mehrheitsbeteiligung der A an der Klägerin ermögliche die rechtssichere Bestimmung der A als Organträgerin, da C als Minderheitsgesellschafter von der Stellung als Organträger ausgeschlossen sei. Das über die Mehrheitsbeteiligung hinausgehende Erfordernis einer Stimmrechtsmehrheit gehe damit über das hinaus, was erforderlich sei (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil v. 6.2.2018 - 4 K 35/17, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 22.5.2018).
Nachdem der BFH dem EuGH diverse Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (BFH, Beschluss v. 11.12.2019 - XI R 16/18, s. hierzu unsere Online-Nachrichten v. 26.3.2020) und der EuGH hierauf mit Urteil v. 1.12.2022- C 141/20 "Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie" geantwortet hat (s. Online-Nachricht v. 1.12.2022 sowie Fietz, NWB 50/2022 S. 3545) , wiesen die Richter des BFH die Revision des FA unter Änderung ihrer bisherigen Rechtsprechung als unbegründet zurück:
- Die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die Umsätze der Organschaft ist unionsrechtskonform (Anschluss an EuGH, Urteil v. 1.12.2022 - C-141/20 "Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie").
- Zwar erfordert die finanzielle Eingliederung i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG im Grundsatz, dass dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht.
- Eine finanzielle Eingliederung liegt aber auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt, so dass die schwächer ausgeprägte finanzielle Eingliederung in dieser Weise durch eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung ausgeglichen wird (Änderung der Rechtsprechung).
Hinweis: Mit ebenfalls am 23.3.2023 veröffentlichtem Beschluss v. 26.1.2023 - V R 20/22 (V R 40/19) hat der V. Senat des BFH ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet. Hier soll geklärt werden, ob an der bisherigen Annahme der Nichtsteuerbarkeit sog. Innenumsätze weiter festzuhalten ist (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 23.3.2023).
Quelle: BFH, Urteil v. 18.1.2023 - XI R 29/22 (XI R 16/18); NWB Datenbank (il)
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im XI. Senat des BFH Prof. Dr. Alois Nacke gelangen Sie hier (Login erforderlich).