Zuflusszeitpunkt einer Tantieme – Jahresabschluss und Hinweise zu Steuererklärungen
Eine Kurzfassung des Beitrags finden Sie .
I. Zuflussfiktion für beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer
1. Gesetzliche Regelung des Zuflussbegriffs
Einnahmen bei den Überschusseinkünften „sind innerhalb des Kalenderjahres bezogen“, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG). Speziell für Arbeitslöhne regelt jedoch § 38a Abs. 1 EStG:
-
laufender Arbeitslohn gilt in dem Kalenderjahr als bezogen, in dem der Lohnzahlungszeitraum endet,3
-
sonstige Bezüge (nicht laufender Arbeitslohn) werden in dem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Arbeitnehmer zufließen. Die Tantieme stellt einen solchen sonstigen Bezug dar.
2. Sonderfall: Beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer
Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass Gehaltsbestandteile und damit auch Tantiemen eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers, die im Anstellungsvertrag vereinbart, tatsächlich aber nicht ausgezahlt worden sind, nicht erst mit der Auszahlung zu versteuern sind. Vielmehr wird angenommen, dass dem beherrschenden Gesellschafter eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen „seine“ Kapitalgesellschaft bereits mit deren Fälligkeit zufließt.4
Als beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer gilt im Regelfall derjenige, welcher die Mehrheit der Stimmrechte besitzt und deshalb bei Gesellschafterversammlungen entscheidenden Einfluss ausüben kann5 sowie zudem als Geschäftsführer bestellt ist (§ 6 Abs. 3 GmbHG).
Die Rechtsauffassung entspricht den EStH, die zu Gutschriften ebenfalls ausführen, eine solche führt in dem Zeitpunkt zum Zufluss, wenn eine eindeutige und unbestrittene Leistungsverpflichtung des Schuldners besteht, diesem also insbesondere kein Leistungsverweigerungsrecht zusteht und der Schuldner in diesem Zeitpunkt zur Zahlung des Betrags in der Lage gewesen wäre (H 11 „Gutschrift“ EStH), also zahlungsfähig ist.
Die Auffassung der Finanzverwaltung ist durch die BFH-Rechtsprechung gut „hinterlegt“.6 Sowohl der BFH als auch das BMF vertreten diese Meinung, weil der beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer es regelmäßig selbst in der Hand hat – sofern die Gesellschaft leistungsfähig ist –, sich geschuldete Beträge auszahlen zu lassen, wenn der Anspruch eindeutig und unbestritten ist, oder sie alternativ in der Gesellschaft zu belassen.
Es ist für die Anwendung dieser sog. Zuflussfiktion ohne Bedeutung, ob sich der Vorgang in der Bilanz der Kapitalgesellschaft tatsächlich gewinnmindernd ausgewirkt hat, etwa durch die Passivierung einer Verbindlichkeit oder einer Rückstellung, sofern eine solche Schuldposition nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung hätte gebildet werden müssen.
II. Aktuelle BFH-Rechtsprechung
1. Sachverhalt
Der Kläger war zu 51 % Gesellschafter und Geschäftsführer der A-GmbH sowie zu 100 % der B-GmbH. In beiden Geschäftsführerverträgen waren gewinnabhängige Tantiemeansprüche geregelt. Als Fälligkeit war ein Monat nach der Genehmigung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung vereinbart.
Zum wurde in der Bilanz der A-GmbH eine Tantieme zugunsten des Klägers i. H. von 160.984 € passiviert. In der Bilanz der B-GmbH zum gleichen Abschlussstichtag ergab sich eine Tantieme i. H. von 160.260 €, die als sonstige Rückstellung ausgewiesen wurde. Die Bilanzen der A-GmbH und der B-GmbH wurden im Dezember des Streitjahres 2009 festgestellt.
Die Tantiemen wurden weder im Streitjahr noch in den Folgejahren ausgezahlt. Im Jahr 2011 erfolgte lediglich eine Umbuchung auf das Konto sonstige Verbindlichkeit. Eine gewinnerhöhende Ausbuchung der Ansprüche fand nicht statt.
Eventuell war ein Grund für die fehlende Auszahlung der Jahresfehlbetrag im Jahr 2009. Nach dem Urteil des BFH war dies jedoch nicht entscheidungsrelevant,7 weshalb es hier auch nicht weiter thematisiert wird.
Das FG Rheinland-Pfalz8 war (ebenso wie das Finanzamt) der Auffassung, die Versteuerung der Tantieme müsse im Jahr 2009 stattfinden, denn bei fristgerechter Erstellung des Jahresabschlusses9 und der Möglichkeit des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers, den Zeitpunkt der vertragsgemäßen Fälligkeit einer Tantieme zu steuern, sei der Zufluss spätestens zum anzunehmen.
2. Entscheidung des BFH10
2.1 Tragende Urteilsgründe
Der BFH erläutert zunächst seine bisherigen Grundsätze, wonach auch ohne Auszahlung ein Zufluss der Tantieme an den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer bei Fälligkeit vorliegen kann (siehe Abschnitt I.2).
Fällig sei eine Tantieme – so der BFH –
-
erst mit der Feststellung des Jahresabschlusses11 oder,
-
sofern die Vertragsparteien eine zivilrechtlich wirksame und fremdübliche andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag vereinbart haben, mit der vereinbarten Fälligkeit.12
Die Feststellung der Jahresabschlüsse erfolgte nach § 46 Nr. 1 GmbHG im Dezember 2009. Damit wäre die Tantieme „eigentlich“ fällig gewesen. Allerdings enthielt der Anstellungsvertrag eine „fremdübliche andere Fälligkeit“, da vereinbart gewesen ist, dass die Tantiemen jeweils einen Monat nach der Genehmigung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung fällig sein sollten. Diese Vereinbarung war fremdüblich, da der GmbH Zeit gegeben werden müsse, um die Liquidität für die Auszahlung herzustellen. Ein Monat ist dafür keine unangemessen lange Zeitspanne (so der BFH zu Recht).
Folglich war das Vorbringen des Klägers in der Klage erfolgreich, da der Zufluss nicht (mehr) im Streitjahr 2009 angenommen werden konnte.
2.2 Irrige Auffassung des Finanzgerichts
Der oder die Geschäftsführer haben den Jahresabschluss und (soweit vorhanden) den Lagebericht unverzüglich nach der Aufstellung den Gesellschaftern zum Zwecke der Feststellung des Jahresabschlusses vorzulegen (§ 42a Abs. 1 Satz 1 GmbHG).
In der Folge haben die Gesellschafter spätestens bis zum Ablauf der ersten acht Monate über die Feststellung des Jahresabschlusses und über die Ergebnisverwendung zu beschließen (§ 42a Abs. 2 Satz 1 GmbHG). Handelt es sich um eine kleine Gesellschaft,13 verlängert sich die Frist bis zum Ablauf der ersten elf Monate des Geschäftsjahres. Eine Verlängerung der Frist ist ausdrücklich ausgeschlossen (§ 42a Abs. 2 Satz 2 GmbHG).
Die Feststellung des Jahresabschlusses auf den im Dezember 2009 erfolgte demnach nicht gesetzeskonform, sondern verspätet.
Trotzdem folgte der BFH der Entscheidung des FG nicht, was er wie folgt begründete: Erst die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung führt zur Verbindlichkeit des Abschlusses. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Jahresabschluss ein rechtliches Nullum und lediglich ein Entwurf der Geschäftsführung. Ein noch nicht S. 1016existenter Jahresabschluss kann deshalb auch dann keine Grundlage für etwaige Ansprüche eines Gesellschafters gegen die GmbH sein, selbst wenn es sich um einen beherrschenden Gesellschafter handelt.
Eine fiktive Fälligkeit wollte der BFH angesichts dieser eindeutigen zivilrechtlichen Lage insbesondere deshalb nicht annehmen, weil im Arbeitsvertrag eindeutig (und fremdüblich) geregelt gewesen ist, dass die Fälligkeit einen Monat nach der Genehmigung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung eintritt.
Etwas anderes hätte sich u. U. nur unter dem Aspekt gem. § 42 AO – Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten – ergeben können. Dazu hätten zielgerichtet die Fälligkeit des Tantiemeanspruchs und damit der Zeitpunkt der Versteuerung der Tantieme hinausgezögert werden müssen, wofür es aber keine Feststellungen des FG gab.
III. Einordnung für die betriebliche Praxis
Die gesetzlichen Jahresabschluss-Fristen für eine GmbH sind – ausgehend vom Bilanzstichtag – wie folgt:
Vorschrift
|
kleinste und kleine Gesellschaft
|
mittelgroße und große Gesellschaft
|
|
Aufstellung
|
6 Monate
|
3 Monate
|
|
Vorlage
|
unverzüglich
|
unverzüglich
|
|
Feststellung
|
11 Monate
|
8 Monate
|
|
Offenlegung14
|
12 Monate
|
12 Monate
|
Dem Autor sind (auch aus der eigenen Berufstätigkeit) nicht wenige Gesellschaften bekannt, bei denen die Praxis für alle Vorgänge – und nicht nur für die Offenlegung – den Dezember nach dem 31.12. des Bilanzstichtags als Ziel vor Augen hat. Und selbst dieser Termin wird erst seit der Einführung von Sanktionen für eine verspätete Offenlegung (§ 335 HGB) mit einem verstärkten Nachdruck angestrebt. Diese Praxis entspricht selbstverständlich nicht dem Gesetz, ist aber üblicherweise dem Arbeitsdruck der Abschlussersteller geschuldet.
Lohnsteuerlich gilt, wenn zugleich (wie üblich) als Fälligkeit der Tantieme ein Monat nach der Feststellung des Jahresabschlusses arbeitsvertraglich festgelegt ist, dass der Zufluss unabhängig von der tatsächlichen Auszahlung beim beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer im darauffolgenden Januar stattfindet. Diese Fiktion in den Dezember vorzuverlegen, wie es das FG Rheinland-Pfalz angenommen hatte, kommt nach dem eindeutigen Urteil des BFH nicht in Betracht.
IV. Ausgangssachverhalt
Die mittelgroße C-GmbH hat einen Jahresüberschuss 2019 vor Steuern und Tantiemen von 350.000 € erzielt. Dem alleinigen Gesellschafter und Geschäftsführer C stehen 50 % als erfolgsabhängige Tantieme zu. Allerdings ist geregelt, dass die Tantieme nicht mehr als ein Drittel des Festgehalts betragen darf. Dieses belief sich 2019 auf insgesamt 180.000 €. Die Tantieme ist einen Monat nach der Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung fällig.
Am übersendet die Steuerkanzlei der C-GmbH den fertig gestellten Jahresabschluss als Entwurf per E-Mail an C. Der Abschluss enthält den korrekten Tantiemebetrag als Aufwand. Noch am selben Tag stellt C in einer Gesellschafterversammlung den Jahresabschluss fest. Die Kanzlei legt den Abschluss am offen. Am wurde von der C-GmbH an C die Tantieme als sonstiger Bezug i. H. von 33.000 € ausbezahlt. Die restlichen 27.000 € wurden am von der Finanzkasse für Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer abgebucht.
V. Buchhalterische Abbildung der Tantieme
Der Abschluss wurde verspätet aufgestellt, rechtzeitig der Gesellschafterversammlung vorgelegt, verspätet beschlossen und rechtzeitig offengelegt (siehe Abschnitt III).
Im Abschluss 2019 wurde die Tantieme von 50 % • 350.000 €, höchstens aber ein Drittel von 180.000 €, also 60.000 €, wie folgt gebucht (SKR 04):
6026
|
Tantiemen Gesellschafter-Geschäftsführer
|
60.000 €
|
an
|
3074
|
Rückstellungen für Personalkosten
|
60.000 €
|
Im Abschluss 2019 wurde keine Verbindlichkeit erfasst, da der Jahresabschluss erst noch von der Gesellschafterversammlung zu beschließen ist (siehe Abschnitt II.2.2). Am 18. bzw. ist die Unsicherheit beseitigt:
3074
|
Rückstellungen für Personalkosten
|
60.000 €
|
an
|
3720
|
Verbindlichkeiten aus Lohn und Gehalt
|
33.000 €
|
an
|
3730
|
Verbindlichkeiten aus Lohn- und Kirchensteuer
|
27.000 €
|
Bei Auszahlung der Tantieme wird wie folgt gebucht:
3720
|
Verbindlichkeiten aus Lohn und Gehalt
|
33.000 €
|
an
|
1800
|
Bank
|
33.000 €
|
Schließlich erfolgt die letzte Buchung mit der Abbuchung des Finanzamts:
3730
|
Verbindlichkeiten aus Lohn- und Kirchensteuer
|
27.000 €
|
an
|
1800
|
Bank
|
27.000 €
|
Fazit
Für die Besteuerung von Arbeitslohn ist es bei einem fälligen Tantiemeanspruch des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers nicht notwendig, dass dieser auch ausgezahlt wird. Mit Eintritt der Fälligkeit gilt im Fall einer zahlungsfähigen Gesellschaft der Zufluss als gegeben. Auch eine verspätete Jahresabschlusserstellung ändert an diesen Grundsätzen nichts, vorausgesetzt, sie erfolgt nicht rechtsmissbräuchlich.
Autor
Fundstelle(n):
BBK 2020 Seite 1013 - 1017
NWB FAAAH-61395
3In den Fällen des § 39b Abs. 5 Satz 1 EStG (Abschlagszahlungen) tritt der Lohnabrechnungszeitraum an die Stelle des Lohnzahlungszeitraums.
, BStBl 2014 I S. 860 NWB LAAAE-65851.
5Vgl. H 8.5 „Beherrschender Gesellschafter“ KStH.
6Z. B. , BStBl 2014 II S. 491 NWB PAAAD-81736.
7Der Verlust hat den Tantieme-Anspruch entsprechend den getroffenen Vereinbarungen nicht nachträglich reduziert.
9Siehe § 264 Abs. 1 Sätze 3 und 4 HGB und Abschnitt III: Jahresabschlusserstellung innerhalb von drei Monaten, bei der kleinen Gesellschaft innerhalb von sechs Monaten.
11Z. B. , BStBl 1993 II S. 311 NWB HAAAA-94427.
12, BStBl 2014 II S. 491 NWB PAAAD-81736.
14Hinterlegung bei der Kleinstkapitalgesellschaft nach § 326 Abs. 2 HGB.