Mythen & Fakten über mentales Training

Mit Methoden aus dem Profi-Sport Bestehensquoten in den Berufsexamina steigern und Mitarbeiter binden

Examenskandidaten [1] die Teilnahme an einem Vorbereitungskurs zu ermöglichen und dies zeitlich und finanziell zu unterstützen, gehört mittlerweile zum Standard in den meisten Gesellschaften. Doch damit hört die Unterstützung in der Regel auf. Führungskräfte erwarten, dass sich die Examenskandidaten selbständig durch die Vorbereitung und die Prüfung steuern. Die Frage nach der mentalen Stärke findet dabei fast keine Beachtung – und dies, obwohl aus dem Profi-Sport bekannt ist, wie sehr Höchstleistungen von der mentalen Verfassung abhängen.

Obwohl die Arbeitgeber ein elementares Interesse am Examenserfolg ihrer Mitarbeiter haben und die Mitarbeiterbindung immer stärker den Unternehmenserfolg beeinflusst, [2] lassen sie weitestgehend diese Chance ungenutzt oder unzureichend verstreichen. In den Gesellschaften und Kanzleien kursieren häufig noch Vorurteile – geradezu „Mythen“ – um das Wesen von Examens-Unterstützungsmaßnahmen, die über das Fachwissen hinausreichen. So bleiben die Durchfallquoten und die damit verbundenen Kündigungsraten unnötig hoch. Diese Mythen soll der vorliegende Beitrag widerlegen.

Klimmer, Bestehensquoten in den StB/WP-Berufsexamen erhöhen – Dreh- und Angelpunkt für Nachwuchssicherung und Mitarbeiterbindung, WP Praxis 5/2022 S. 173NWB IAAAI-60072

Kernaussagen
  • Der Erfolg im Examen beruht auf mehreren Säulen: Fachwissen, der Transfer von der Theorie in die Praxis, Vorbereitungszeit, Übung, um mit der richtigen Technik/Taktik die relevanten Punkte zu ernten, hilfreiche Lernstrukturen, Klarheit sowie Coaching für mentale Stärke und anderes mehr. In vielen Punkten sind sich die Beteiligten einig. Die mentale Stärke hingegen führt dabei zumeist noch immer ein Schattendasein und wird zu wenig beachtet.

  • Wichtig dabei: Ein mentales Training hat nichts mit einer „Tschakka“-Veranstaltung oder mit Tipps für positives Denken im Stil von Publikumszeitschriften zu tun. Vielmehr geht es um Übungen und Verfahren, die ihre Wirksamkeit im Profi-Sport und in der Wissenschaft belegt haben.

  • Im mentalen Training wird „das erfolgsbegünstigende Denken“ geübt. Die Teilnehmer trainieren, ihre inneren Monologe zu steuern und sich auf lösungsorientierte Gedanken zu fokussieren. Zudem gilt es, eine Übereinstimmung zwischen innerer Motivation und bewussten Zielen herzustellen und positive Emotionen wie Selbstvertrauen und Motivation aufrechtzuerhalten, damit die Neurobiologie das Denken und Lernen begünstigt. Mentale Stärke ist selten angeboren. Sie muss meist individuell erlernt und trainiert werden.

I. Einleitung

Nachwuchskräfte sind gesucht. Dringend. Händeringend (siehe auch aktuelle Lünendonk-Studie). Befragungen unter Branchenkennern legen nahe, dass kleine wie große Kanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften den Fachkräftemangel deutlich spüren und ihre Leistungen mit einer reduzierten Belegschaft managen müssen. Wie gelingt es, junge Kräfte für die Wirtschaftsprüfung oder Steuerberatung zu begeistern und zu binden?

Die Durchfallquoten sind ein Dreh- und Angelpunkt in dieser Frage. [3] Die Bestehensquoten der eigenen Examenskandidaten müssen deshalb ein drängendes Anliegen aller Führungskräfte sein – und dürfen nicht nur an die Personalabteilung „delegiert“ werden.

Für die Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung als Berufsstand steht viel auf dem Spiel: Die Attraktivität einer Karriere in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft oder einer Steuerberatungskanzlei ist in der Wahrnehmung begabter junger S. 341Kräfte deutlich gesunken – wie in meiner repräsentativen Online-Umfrage vom Februar dieses Jahres deutlich wurde. [4] Wenn sie sich doch für den Eintritt in einen der beiden Berufe entscheiden, ist längst nicht sicher, dass sie das anspruchsvolle Examen antreten oder nach einem verfehlten Erstversuch einen zweiten Anlauf wagen. Nicht selten entscheiden sie sich nach einem Misserfolg zeitnah für eine Kündigung. Für die Kanzleien und Gesellschaften heißt das: Jedes Durchfallen ist nicht nur für die Betroffenen ein persönlicher und emotionaler Tiefschlag. Es bedeutet ein großes Kündigungsrisiko.

Der Erfolg in einem Berufsexamen steht auf mehreren Säulen. Ist eine Säule instabil, droht das ganze Gebäude einzustürzen. Wenn in diesem Artikel davon die Rede ist, Examenskandidaten allumfassend zu unterstützen, geht es darum, alle Chancen zu nutzen, die nachweislich die Erfolgsaussichten in den Berufsexamina steigern.

Der Schaden bahnt sich schon frühzeitig an: Viele Examenskandidaten haben keineswegs das Gefühl, dass ihre Arbeitgeber hinter ihnen stehen und sie allumfassend unterstützen (auch finanziell). Oft erleben sie die Zurückhaltung ihrer Vorgesetzten sogar als menschliches Desinteresse. So lockert sich oft schon in der Vorbereitungsphase zum Examen die Bindung an den Arbeitgeber. Fällt der Kandidat tatsächlich durch die Prüfungen, ist die Kündigung nicht mehr weit. Und schon wieder ist ein Mitarbeiter gegangen. Die verbleibenden Kollegen müssen die Lücke schließen.

II. Zeitenwende – auch für Wirtschaftsprüfer und Steuerberater

Die Entscheidung für ein Berufsexamen bedeutet einen hohen persönlichen, zeitlichen und finanziellen Aufwand. Nur etwa die Hälfte der StB-Kandidaten hat Erfolg. Die WP-Kandidaten stellen sich seit der Modularisierung etwas besser.

Auch für die Kanzleien und Gesellschaften sind die hohen Durchfallquoten fatal: In aller Regel investieren sie zeitlich und finanziell große Summen in ihre Kandidaten, durch Freistellungszeiten und finanzielle Zuschüsse. Big4-Partner beziffern die Kosten mit etwa 20.000 € pro StB- und ca. 30.000 € pro WP-Kandidat. Wenn die Kandidaten jedoch durchfallen oder nach einem Misserfolg frustriert kündigen, sind die Probleme und „Kosten“ für das Unternehmen weitaus höher als eine zusätzliche Investition in die Stressresistenz und das Selbstmanagement. Eine weitere Kraft fällt aus. Die Arbeitsbelastung der übrigen Kollegen steigt. Der Stimmungspegel sinkt. Die Attraktivität des Berufswegs schwindet weiter. Weitere Examens-Investitionen lohnen sich, weil der ROI insgesamt steigt.

Wie sieht die Zukunft der Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung aus? Schwierig wird es allemal. Höchste Zeit also, alle Chancen zu nutzen und auch bislang ungewohnte Wege zu begehen.

Die Kultur des Zähne-Zusammenbeißens und Sich-Disziplinierens ist in der Branche bei Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern tief verankert. Diese Mentalität stößt in letzter Zeit jedoch an ihre Grenzen. Junge Kräfte erwarten eine Balance zwischen Berufs- und Privatleben. Auf eine klassische Ochsentour lassen sie sich kaum noch ein. Weshalb auch? Aussichtsreiche Jobs gibt es überall. Zudem ist der ausschließliche Fokus auf den Willen und das Durchhaltevermögen auch aus neurobiologischer Sicht mehr als fragwürdig. Sind sie wirklich der Königsweg zum Erfolg? „Alte Hasen“ werden nun eventuell sagen: „Na und, das war doch früher bei uns auch nicht anders.“ Das mag schon sein. Allerdings sind in der Zwischenzeit die Belastung im Arbeitsalltag und die Stofffülle im Examen deutlich gestiegen.

III. Stressbelastung und Leistungsfähigkeit: Was sagt die Wissenschaft?

Viele Examenskandidaten gehen mit den besten Absichten in die Prüfungen und erleben dann, wie sie bereits in der Vorbereitungszeit und besonders während der Prüfungen stressbedingt neben sich stehen. Sie sind nicht in der Lage, in der Vorbereitungszeit effizient und gehirngerecht zu lernen. In den Prüfungen können sie ihre gewohnten Leistungen nicht erbringen und das Gelernte abrufen. Der Versuch, sich Prüfungs- und Versagensangst oder Stress auszureden, scheitert regelmäßig. Der Verstand erweist sich als wenig hilfreicher Berater. Weshalb ist das so?

Das menschliche Gehirn ist in seiner Anlage mehr als 60.000 Jahre alt. Es hat sich in einer Zeit ausgeformt, als sich die Menschen noch in der Wildnis bewähren mussten. Schnelle Entscheidungen waren überlebenswichtig: Wenn ein Bär vor der Höhle steht, ist keine Zeit zu verlieren. Für blitzschnelle Reaktionen greift unsere Biologie zu einem Trick: Sie schaltet den „langsamen“ kognitiven Gehirnteil aus und aktiviert den schnellen, instinktiven. Dazu zählen vorrangig das Stammhirn und das limbische System, das „Emotionszentrum“ des Gehirns. Dieser Mechanismus wurde mit modernen Verfahren wie der PET (Positronen-Emissionstomografie) nachgewiesen.

In Stresssituationen greift dieses Reaktionsmuster bis heute, auch in Examensprüfungen. „Examen“ interpretiert das Gehirn als „Gefahr“. Und schon haben die Emotionen freie Bahn, der alte Gehirnteil übernimmt das Ruder und wirft uns an der unpassendsten Stelle aus der Bahn.

Unter Stress büßen nicht nur die Areale des Gehirns an Leistungsfähigkeit ein, die für effizientes Lernen bedeutsam sind – also die kognitiven Bereiche. Es kommt noch etwas hinzu: Negative Emotionen aller Art wirken sich auf das Frontalhirn aus. Unter dem Eindruck negativer Emotionen senkt es seine Aktivität. Schlecht für alle Examenskandidaten, denn das Frontalhirn steht im Kontext mit Denken, Lernen und Abrufen von Wissen.

Es wird deutlich: Für den Erfolg im Examen ist es schlicht notwendig, jederzeit in der Lage zu sein, negative Emotionen ins Positive zu drehen. Aus diesem Grund sollten Examenskandidaten frühzeitig mentale Selbstcoaching-Methoden erlernen und rechtzeitig trainieren. Nur so gelingt es, den Schaden abzuwenden, den die Emotionen in der Examenszeit häufig anrichten. Dazu zählen Ängste wie Versagens- oder Prüfungsangst, Wut und Ärger über die zeitlichen, finanziellen sowie emotional-mentalen Opfer der Prüfungsvorbereitung, Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht angesichts der Stoffmassen, Traurigkeit, Frust und anderes mehr.

Auch negative Emotionen sind daher regelmäßig eine Ursache dafür, dass am Ende der Examensprüfung notwendige Punkte zum Bestehen fehlen.

IV. Schlaf und seine Bedeutung für die Leistungsfähigkeit

Zum Glück sind wir Menschen unseren Emotionen nicht völlig ausgeliefert. Tatsächlich sind wir sogar mit einem höchst effektiven Emotions- und Stressmanagement ausgestattet: dem Schlaf.

In der Nacht sind wir keineswegs inaktiv. Die Erlebnisse und Lernerfahrungen des Tages liegen zunächst noch im Emotionszentrum des Gehirns, im limbischen System. Im Verlauf der Nacht werden sie verarbeitet, eingeordnet und im Großhirn abgelegt. Wenn alles gut geht, erwachen wir morgens fit und erfrischt. Das am Vortag Erlernte konnte sich festigen und wurde mit weiterem Wissen vernetzt.

Manchmal sind die Erlebnisse und Erfahrungen jedoch zu groß und zu stressig für die Verarbeitung im Schlaf, wie mehrere nicht bestandene Übungsklausuren. Dem Gehirn gelingt es nicht, die Erlebnisse und negativen Emotionen einzusortieren, abzulegen, darüber hinwegzukommen und „abzuhaken“.

Wir haben das Gefühl, weder vorwärts noch rückwärts zu können. Dies nennt man eine emotionale oder mentale Blockade. Sie führt zu einer eingeschränkten Lern- und Denkfähigkeit. Gerade bei Kandidaten, die einen zweiten Anlauf zur Examensprüfung wagen, lässt sich eine solche Blockade häufig beobachten. Das Scheitern im Examen fühlt sich für die meisten wie ein Trauma an. Da nützt es wenig, wenn das private und berufliche Umfeld beteuert: „Das macht doch nichts. Das passiert ja vielen. Mach Dir keine Sorgen, nächstes Mal klappt es bestimmt.“

Ob Durchfallen oder auch nur schlechte Übungsklausuren: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein schwieriges Erlebnis zu einer emotionalen Blockade führt und die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, hängt vom aktuellen, persönlichen Stresspegel ab. Bei einer ohnehin starken Anspannung ist das Verarbeitungssystem des Gehirns, das limbische System, bereits stark beansprucht. Ein weiteres belastendes Erlebnis führt mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer Blockade.

Ereignisse und Reize wirken stark auf uns ein. Es fällt uns schwer, Höchstleistungen abzurufen und die Schlagfertigkeit oder Kreativität sinkt auf den Nullpunkt. Nach richtigen Antworten und Lösungen greifen wir wie im Nebel.

Die Vorbereitung auf ein Berufsexamen ist zweifelsohne eine Phase gesteigerten physischen und psychischen Drucks. Die Prüfungskandidaten sind komplexen Situationen mit multiplen Stressfaktoren ausgesetzt. Dies übersteigt das Potenzial des nächtlichen Schlafs und hat Auswirkungen auf die Lern- und Arbeitsleistung und auf die Bestehensquoten im Examen. Die Modularisierung der Prüfungen in der Wirtschaftsprüfung hat zwar eine leichte Entlastung der Prüfungskandidaten bewirkt, jedoch keine grundsätzliche Veränderung.

V. Lösung Teil 1: EMDR/Emotionscoaching

Aus der Gehirnforschung ist bekannt, dass die emotionsverarbeitende Tätigkeit des Gehirns im Schlaf während der sog. REM-Phasen (Rapid Eye Movement) am höchsten ist. Unter den geschlossenen Augenlidern bewegen sich die Augen in schnellen Bewegungen hin und her.

Dieser Zustand, in dem Emotionen verarbeitet werden können, triggert eine Behandlungsmethode im Wachzustand an. Sie heißt EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) und wurde maßgeblich von der Amerikanerin Francine Shapiro entwickelt. Heute wird sie eingesetzt, um belastende Erlebnisse zu verarbeiten. Sie ist derart wirkungsvoll, dass sie für die therapeutische Behandlung von traumatisierten Patienten verwendet wird. Die Wirksamkeit konnte durch Forschungsstudien nachgewiesen werden (Nicosia 1994). Das bedeutet: Künstlich eingeleitete Augenbewegungen haben den gleichen Effekt wie die REM-Phasen im Schlaf. Sie leiten einen Prozess ein, der zur Verarbeitung von belastenden Erlebnissen und zur Lösung von emotionalen Blockaden führt.

Diese „wachen REM-Phasen“ sind ein zentraler Bestandteil des modernen Emotions-Coachings. In Verbindung mit fundiertem Wissen über die typischen Probleme und Risikofaktoren im Examen kann das Coaching in kürzester Zeit und mit nachhaltigem Erfolg durchgeführt werden, auch online. Es ist also ideal für Examenskandidaten: für ihren Stressabbau und ihre Lernleistungssteigerung.

VI. Lösung Teil 2: effizientes Mentaltraining versus Coaching-Mythen

Schwierige Erfahrungen, wie Misserfolge in Prüfungssituationen, gezielt zu verarbeiten, ist das eine. Ein mentales Training meint jedoch mehr. Häufig wird es übersetzt mit „das erfolgsbegünstigende Denken trainieren“.

Sicher sind jedem bereits Worte wie „Denken Sie doch einfach, dass das Glas nicht halb leer, sondern halb voll ist“ oder „Denk doch einfach positiv!“ über den Weg gelaufen. Mit solchen landläufigen Verballhornungen hat professionelles, mentales Training nichts zu tun. Leider kursieren hierzu eine Menge Vorurteile, wie:

  • „Mentales Training ist für Menschen, die ‚es nicht drauf haben‘, sprich: für Schwache und Problemfälle.“ Dies ist ein Irrtum: Mentale Stärke ist nicht angeboren, sondern trainierbar. In Schweden etwa ist mentales Training ein Unterrichtsfach.

  • „Positiv denken, kann ich doch allein.“ Dies mag in durchschnittlichen Alltagssituationen noch stimmen, nicht jedoch unter extremem Stress. In diesen Fällen übernehmen die tief verinnerlichten Muster das Ruder. Anders und zielführend zu reagieren, will gut trainiert sein. Gleiches gilt für das Erzeugen und Aufrechterhalten positiver Emotionen, wie Motivation, Selbstvertrauen, Zuversicht und andere mehr.

  • „Der Wille zählt.“ Ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Sich an die Kandare zu nehmen, erzeugt Druck und Verkrampfung. Diese reduzieren die Leistungsfähigkeit.

  • „Mentales Training ist eine ‚Tschakka‘-Veranstaltung.“ Das ist falsch. Beim richtigen mentalen Training geht es darum, eine Übereinstimmung zwischen unbewussten Motivatoren, gesundem Selbstvertrauen und verstandesmäßigen Zielen herzustellen. Zudem wird trainiert, in einer Weise mit sich zu kommunizieren, die beruhigt, motiviert und selbstbewusst macht.

  • „Man muss nur den inneren Schweinehund überwinden.“ Das kann man versuchen, jedoch bindet der Versuch viel kostbare Kraft. Wenn sich der „innere Schweinehund“ meldet, stehen innere Motivation und Verstand in Konflikt miteinander. Ressourcenschonender ist es, den Konflikt aufzulösen.

  • „Mentales Training ist eine Therapie-Form.“ Nein, ein mentales Training ist keine Therapie, so wie regelmäßiges Zirkeltraining etwas anderes ist als eine Physiotherapie.

  • „Da kann ich doch auch ein Buch lesen.“ Dies schadet sicher nicht. Doch ein Buch zu lesen, ist noch kein Training. Zudem ist ein Buch nicht in der Lage, auf die individuelle Person und ihre spezifischen Herausforderungen oder sogar unbewussten Erfolgsblockaden einzugehen und diese gezielt und effizient aufzulösen.

Der positive innere Monolog, der positive Emotionen wie Selbstvertrauen, Motivation, Konzentration und Lernfreude erzeugt, ist zentral für unseren Erfolg. Das positive Selbstgespräch sowie lösungsorientierte Gedanken sorgen für einen besseren Fokus und somit für eine höhere Erfolgsquote.

In der Sportpsychologie gilt die mentale Stärke ganz selbstverständlich als entscheidender Erfolgshebel. Deutlich wird dies, wenn etwa Sportfunktionär Bernhard Peters mit Blick auf die Ergebnisse im deutschen Ballsport kritisiert: „Mir fehlt massiv die mentale Stärke. [...] Ich vermisse übergreifend die Widerstandsfähigkeit, die dem Gegner signalisiert, wenn ein Spiel auf der Kippe steht: ‚Ihr könnt machen, was ihr wollt, am Ende gewinnen wir‘“. [5] Er muss es wissen. Zwischen 2000 und 2006 hat er die Hockey-Nationalmannschaft zu mehreren Weltmeistertiteln geführt.

Als Positiv-Beispiel für mentale Stärke gilt Serena Williams. 23 Grand Slams sowie eine Erfolgsserie von 34 Siegen hintereinander im Jahr 2013 lassen sich mit körperlicher Überlegenheit allein nicht erklären. Dank ihres unbedingten Siegeswillens wird sie in Fachmagazinen zu den Top 5 der mental stärksten WTA (Women's Tennis Association = Vereinigung der professionellen Tennisspielerinnen)-Spielerinnen gerechnet. [6]

Erfolg ist Kopfsache. Die Erkenntnis setzt sich mehr und mehr durch.

Das Gute ist: Examenskandidaten, die im Zuge ihres Examens leistungsmindernde Blockaden aufgelöst und ihr leistungsförderliches Denken trainiert haben, sind auch für den laufenden, arbeitsintensiven Berufsalltag besser aufgestellt.

VII. Was sagen die Kandidaten selbst?

In meiner repräsentativen Online-Umfrage im Februar dieses Jahres antworteten 226 Examenskandidaten unter anderem auf die Frage, wie sie die Erfolgsfaktoren für das Berufsexamen einschätzen. Ihre Prüfung oder der Prüfungsversuch lag höchstens vier Jahre zurück.

Übersicht 1 zeigt, wie die Prüfungskandidaten die Erfolgsfaktoren selbst gewichten. Neben den Klassikern wie genügend Vorbereitungszeit, Fachwissen und Klausurtraining hoben sie Softskill-Kompetenzen bzw. mentale Aspekte der erfolgreichen Examensvorbereitung als elementar hervor:

Übersicht 1

Die Online-Umfrage und die zusätzlich über 50 persönlich geführten Interviews mit Branchenexperten (Führungskräfte, Personalleiter, Prüfer, Ausbildungsinstitute, Examenskandidaten) ergaben insbesondere folgende Optimierungspunkte:

1. Mehr Selbstvertrauen und mentale Stärke

Stress und Überforderung vor und während der Prüfung sind ein Problem: dies ist allgemein anerkannt. Dennoch bekennt sich vor der Prüfung kaum ein Kandidat dazu, sich Profi-Rat an die Seite geholt zu haben. Dies gilt besonders für mentale Techniken oder Soft-Skill-Trainings für Examenskandidaten. Selbstüberschätzung, Befangenheit und Scham sind derart ausgeprägt, dass diese Art der Unterstützung möglichst geheim bleiben soll, selbst wenn die Kandidaten die mentale Stärke rückblickend als entscheidend einstuften.

Deshalb suchen sie sich zu selten professionelle Unterstützung. Diese Lücke sollten Führungskräfte schließen, denn sie sind am ehesten in der Lage, potenziell erfolgsmindernde Vorurteile bei Examenskandidaten aufzuklären und aufzulösen und weitere finanzielle Unterstützung zuzusagen.

2. Bessere finanzielle Unterstützung

In der Befragung gaben 25 % der Kandidaten an, dass ihre Kosten vollständig gedeckt wurden. 41 % mussten ergänzende Unterstützung wie ein persönliches Examens-Coaching oder fachliche Nachhilfe selbst finanzieren (siehe Übersicht 2).

Ein Examensvorbereitungskurs wird in der Regel finanziert, mit dem mentalen Training sieht es weniger rosig aus. Hier sind Führungskräfte gefragt, denn es ist an ihnen, die Finanzierung zusätzlicher Maßnahmen zu bewilligen. Denn das übliche Examens-Budget reicht zumeist noch nicht mal für alle fachlichen Kurse.

Kandidaten aus mittelständischen Kanzleien und Gesellschaften stellen sich generell schlechter als Kandidaten der „Big4“ und „Next10“. Hier ist noch Luft nach oben, besonders in den mittelständischen Unternehmen, die im Rennen um begabte junge Kräfte gegenüber den großen Gesellschaften oft das Nachsehen haben.

Übersicht 2

 

3. Innere Klarheit

Examenskandidaten sollten sich bewusst machen, welche Anforderungen und Chancen das Leben als Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater mit sich bringt. Ist es das, was sie wirklich wollen?

Führungskräfte spielen bei diesem Thema eine wichtige Rolle. Im Dialog sind sie in der Lage, einen realistischen Ausblick auf den Berufsweg zu werfen und eine stabile Entscheidung zu ermöglichen.

Die innere Klarheit ist wichtig für den Erfolg im Examen, denn mit ihr steht und fällt die Motivation – speziell auch für den Wiederholungsversuch, wenn dieser nötig wird.

4. Examensbegleitung mit „weichen Faktoren“

In der repräsentativen Umfrage wurde konkret danach gefragt, welche Personen die Examens-Unterstützungsangebote rund um „weiche Faktoren“ bieten sollten (d. h. individuelles Stressmanagement, Motivation/Durchhalten, gehirngerechtes Lernen, mentale Stärke etc.). Dies ergab: 67 % der befragten Kandidaten wünschen sich den Austausch mit Kollegen und Vorgesetzten, die das Examen bereits bestanden haben.

Werden externe Coachs als Begleiter hinzugezogen, ist es für die Akzeptanz wichtig, dass sie auf mentale und motivatorische Themen spezialisiert sind und über ausgeprägte Erfahrung hinsichtlich der Berufsexamina verfügen. Selbst Psychologen erfahren eine für den Berufsstand untypische Fürsprache im Vergleich zu Coachs und Trainern ohne deutlichen Arbeits- oder Erfahrungsfokus hinsichtlich der Examensherausforderungen (siehe Übersicht 3).

Übersicht 3

 

5. Coaching und Training

Sorgen, Ängste und Stress im Examen waren für 53 % der Befragten die mit Abstand wichtigsten Ursachen für Performance-Schwächen und Lernminderungen.

Vielfach spielen persönliche und emotionale Themen eine Rolle, die die Kandidaten nur ungern gegenüber Kollegen und Vorgesetzten äußern. Eine persönliche Coaching- oder Mentoren-Begleitung bietet sich hier ganz besonders an.

In der Summe kann gesagt werden: Der Schlüssel zum Examenserfolg liegt in der Kombination aus solidem Fachwissen, der richtigen Klausurtechnik/-taktik und mentaler Stärke. Über die Bedeutung des Fachwissens und dessen punktebringender Anwendungen in den Klausuren sind sich die Beteiligten einig. Die mentale Stärke führt bei den meisten aktuell noch ein Schattendasein.

VIII. Fazit

Schon heute leiden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Steuerberatungskanzleien unter einem erheblichen Mangel an Nachwuchskräften. Die hohen Durchfallquoten im Examen schrecken ab, während die Bereitschaft, die Härten des Berufs auf sich zu nehmen, sinkt. Dies mag man bedauern, doch begabte Mitarbeiter sind überall händeringend gesucht und willkommen. So gibt es aus der Sicht der Nachwuchskräfte keinen Grund, sich in einen mehr als anspruchsvollen, zeitintensiven Job einzulassen – der obendrein die „Rosskur“ eines Examens mit sich bringt! – und zugleich auf umfassende Unterstützung ihrer Arbeitgeber zu verzichten.

Die Aufgaben der allumfassenden Mitarbeiterentwicklung ernst zu nehmen und auszubauen, ist mehr als überfällig. In den meisten Branchen hat schon vor Jahren ein Umdenken begonnen, wodurch sich die Standards und Erwartungen verschoben haben. Für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer wird es Zeit, die Lücke in der Examensunterstützung zu schließen.

Coaching ist hierbei ein Teil dieses Mitarbeiter-Entwicklungs-Programms. Führungskräfte in der Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung dürfen dabei auf jahrzehntelange Erfahrung im Profisport, der Wirtschaft und Wissenschaft vertrauen.

Dies würde die Mitarbeiterbindung stärken, die Bestehensquoten erhöhen und die Attraktivität des Berufsstands steigern. Denn auch diese Frage haben die befragten Kandidaten überwiegend bejaht: Bei höheren Bestehensquoten würden sich mehr Nachwuchskräfte für den Beruf entscheiden (siehe Übersicht 4).

Übersicht 4

Mentales Training ist ein bislang noch nicht gehobener Schatz. Es dient dazu, stärkende Emotionen gezielt zu erzeugen und auf den Punkt abzurufen – um damit die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Im Profi-Sport ist das Training schon lange üblich. Auch Wirtschaftsprüfer und Steuerberater können davon profitieren.

Es entsteht eine positive Wirkungskette: Mentales Training führt zu Lerneffizienz, Selbstvertrauen und starken Nerven und dadurch auch zu höheren Bestehensquoten, zu höherer Belastbarkeit im Beruf, stärkerer Mitarbeiterbindung, wieder ansteigender Attraktivität des Berufsstandes sowie verbesserten Zukunftsaussichten.

Autorin

Marion Klimmer
ist Softskill-Trainerin im WP-8a-Masterstudiengang an der Leuphana Universität und Autorin. Sie arbeitet seit 14 Jahren als Examenscoach und Mentaltrainerin. Als Inhaberin der „KLIMMER Examens-Akademie StB/WP“ unterstützt sie gemeinsam mit ihrem Dozententeam Examenskandidat*innen online zum Bestehen (www.klimmer-coaching.de).

Fundstelle(n):
WP Praxis 10/2022 Seite 340
NWB EAAAJ-22495


1Hinweis zur Gender-Neutralität: Zur besseren Lesbarkeit verzichten die Ausführungen in diesem Beitrag auf eine durchgängige Differenzierung in geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen. Sofern die männliche Form verwendet wird, schließt dies alle möglichen Formen der Personenbezeichnung gleichberechtigt ein.

2Auch die aktuelle Lünendonk-Studie stellt gerade den Fachkräftemangel und die hohe Fluktuation heraus.

3Vgl. Klimmer, WP Praxis 5/2022 S. 173 NWB IAAAI-60072.

4Vgl. Klimmer, WP Praxis 5/2022 S. 173 NWB IAAAI-60072.

5dpa, Olympia-Analyse: Experte Peters vermisst „mentale Stärke“ bei deutschen Teams, Zeit online v. https://go.nwb.de/tekj1; sowie Horeni, „Diese Entwicklung hat dramatische Auswirkungen“, Interview mit Bernhard Peters, FAZ online v. https://go.nwb.de/clsqb.

6Schadler, Top 5 der mental stärksten WTA-Spieler, Sportarten news v. https://go.nwb.de/fms5b.

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